Die Frühe Neuzeit

Die Frühe Neuzeit

Spätestens seit der frühen Neuzeit war das Eisschießen vom Alpenraum bis an die Küsten der Nordsee verbreitet. Während Dokumente über das Eisschießen aus der Frühen Neuzeit aus dem Alpenraum erst ab der Mitte des 17. Jhdts bekannt sind, geben Gemälde und Berichte aus den Niederlanden bereits ab dem 16. Jhdt. einen Einblick in die Spielewelt der damaligen Zeit.

Die Eisspiele der Niederländer

In den Niederlanden1 waren im 16. Jahrhundert bereits eine Reihe von winterlichen Spielen auf Eis bekannt. Vermutlich waren diese Spiele hauptsächlich in den südlichen Provinzen verbreitet, während man sich im nördlichen Teil verstärkt dem Eislauf hingab. Jean Nicolas des Parival erwähnt im Jahre 1651 2 in seiner Beschreibung der Vergnügungen der Holländer 3 (Les Delices De La Hollande) nur den Eislauf und Lacrosse; in der Enzyklopädie „Kinderspie und Kinderlust in den Südlichen Niederlanden“ 4 aus dem Jahre 1906 werden dagegen weitere in den Niederlanden bekannte → Eisspiele aufgeführt. Das hier genannte Spiel Kaluiten ist ein Schubspiel, das mit hölzernen Scheiben auf Eis gespielt wurde und – auch wenn genaue Regeln nicht überliefert sind – durchaus mit dem heutigen Eisschießen verglichen werden kann.

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Spiele in Bayern und Österreich

Die frühe Neuzeit hatte außer den bereits seit dem Mittelalter bekannten Jahrmärkten, Pferderennen und durch das Land ziehende Wanderbühnen zumindest für die einfache Landbevölkerung und die Bürger der Städte noch nicht viel an Vergnügungen zu bieten. Mit dem Beginn des Zeitalters der Aufklärung, als man mit vielen alten Vorstellungen brach, erfuhren nun auch die Leibeserziehung und insbesondere die Winterspiele erheblich mehr Anerkennung und Beachtung.

Bis zum Ende der Barockzeit wird über Spiele meist nur zufällig und in nebensächlicher Art und Weise berichtet. Insbesondere Gesetze und Verordnungen aber lassen Rückschlüsse auf das Alltagsleben der Bevölkerung zu. Aus dem Jahre 1638 ist beispielsweise überliefert 5, daß die Stadt (unbekannt?) bei Strafe von 2 Talern das Eisschießen am Teich verboten hatte. Ob es wegen dieses Deliktes zu einer Bestrafung kam, ist aus den Ratsprotokollen nicht zu ersehen. Ebenso ist der Grund dieses Verbotes nicht bekannt.

In Bayern und Österreich hatten das Scheibenschießen, die Kegelspiele und das Eisschiessen zwar seit langer Zeit einen festen Platz unter den Lustbarkeiten der Stadt- und Landbevölkerung, flächendeckend nachzuweisen sind diese Vergnügungen im Kurfürstentum Bayern aber erst mit Beginn der statistischen Aufzeichnungen 6 im ausgehenden 18. Jahrhundert. Während in den Beschreibungen der Haupt- und Residenzstadt München aus dem Jahre 1782 eine Reihe von Spielen angeführt sind, so werden in den Topografischen Beschreibungen anderer Städte bzw. Landstriche meist nur Kegeln und Eisschiessen genannt.

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Die Eisbahn als Treffpunkt …

Scheibenschießen, Kegeln und Eisschiessen wurden allesamt im Freien ausgeübt und hatten nicht zuletzt deshalb einen allgemeineren Zuspruch als die übrigen Spiele. Schießwettbewerbe sowie Kegel- und Eisstock-Vergleiche wurden oftmals auch in Verbindung mit Jahrmärkten, Volksfesten und Pferderennen abgehalten. Schieß-Statt, Eis- und Kegelbahn waren Orte, an denen man sich mit Nachbarn und Freunden traf und nebenbei auch mit Fremden ins Gespräch kam. ‚Sehen und gesehen werden‘ spielte hier eine ebenso große Rolle wie bei den Kugelspielen im Mittelalter. Und wer sich nicht aktiv am Geschehen beteiligte, der schaute einfach nur zu.

… und Gefahrenquelle

Daß es beim Eisschießen immer wieder zu Unfällen gekommen ist, liegt auf der Hand. Die Palette reicht hier vom Ertrinken bis zu tragischen Verletzungen mit dem Eisstocke. Johann Baptist Strobl 7 warnt deshalb 1788 in seinen „Unglücksgeschichten“ die „unerfahrene Jugend“ vor den Gefahren beim Eisschiessen:

Ich sah einst einigen jungen Leuten auf dem Eise zu, als sie mit dem Stocke spielten; da trafs sich, daß gerade einer zum Abschießen fertig stand, als ein anderer hinter ihm sich bückte, um seinen Stock auf zuheben. Ersterer hatte diesen nicht bemerkt, schwang mit aller Kraft seinen Stock, und traf zum Unglück rücklings leztern so gewaltig vor die Stirne, daß er weit hinter ihm wegstürzte, und in einer halben Stunde darauf seinen Geist aufgab: denn sein ganzer Kopf war zerschlagen, und sein Blut und Gehirn an dem eisernen Ring des Stockes kleben geblieben. Ein andersmal sah ich einen, der sich mit seinem Eisstock im währenden Ausholen so gewaltig vor das Schienbein schlug, daß er vor Schmerzen brüllte und fluchte. Der Fuß schwoll gleich gewaltig auf, und so wie ich nachher vernahm, soll er, so lang er lebte, daran zu heilen gehabt haben.


Strobls → Unglücksgeschichten sind in erster Linie aber als unterhaltsame Lektüre mit satirischem Hintergrund zu verstehen und nicht dazu gedacht, die Jugend vom Spielen abzuhalten. Die vermeintlich größte Gefahr aber, die in der damaligen Zeit vom Eisschießen ausging, war die Gefahr des Verfalls von Sitte und Moral. Allein schon vom Zuschauen könnten Kinder zum Spielen (zu Wetten, Glücksspielen) animiert werden und leicht auf die schiefe Bahn geraten, warnt Karl Milbiller in der Familienzeitschrift → „Der Zuschauer in Baiern“ im Jahre 1781.

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Eisschießen als Glücksspiel

Wett- und Glücksspiele waren seit jeher ein besonders beliebter Zeitvertreib der Bevölkerung. Bei den reinen Glücksspielen wurde zum Teil um hohe Einsätze gespielt und auch bei so manch „unschuldigen“ Spiel wettete man um hohe Geldbeträge. Insbesondere der Kirche, die teilweise auch die weltliche Herrschaft ausübte, verurteilte diese Vorgänge aufs Schärfste. In den → fürsterzbischöflichen Verordnungen von 1683 und 1695 aus Salzburg, mit denen auch der Spieleinsatz beim Eisschießen begrenzt wurde, ist bereits die klare Absicht erkennbar, die teils ruinöse Spielsucht der Bevölkerung einzudämmen. Und auch noch knapp einhundert Jahre später bestand aus der Sicht der Kirche die offenbare Notwendigkeit, diesem Treiben Einhalt zu gebieten.

Durch gleichlautende Verordnungen für das → Erzstift Salzburg vom 4. Dezember 1772 und das → Hochstift Freising vom 8. Dezember 1773 sollte sichergestellt werden, dass u.a. mit dem Eisschiessen

  • niemals vor geendigtem Gottesdienste begonnen, und dabei
  • aller Muthwillen und sträfliche Ausgelassenheit vermieden werde.


Gemäß einer → Erhebung von 1783 brachten aber auch diese Verbote keine nennenswerten Erfolge. So wird an anderer Stelle in einer Chronik von einem → Eisschießen auf dem Mattsee im Jahre 1775 berichtet, an dem sogar Wolfgang Amadeus Mozart teilgenommen haben soll – und wo Mozart war, war das Glücksspiel nicht weit.

Das Wetten vom Eisschießen zu trennen, war letztlich ein hoffnungsloses Unterfangen. Denn gerade in der Zeit, als es keine öffentliche Spielhäuser (Kasinos) gab, wurden andere Spiele durch Wetten zu Glücks- und Hazardspielen gemacht. Und gerade dieser Umstand war der Entwicklung des Eisschießens zu einem der beliebtesten Volksspiele sehr zuträglich.

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Eisschießen und der Teufel

Von der Geistlichkeit wurde insbesondere das Eisschiessen an „heiligen“ Tagen, an Sonntagen und auch nach dem abendlichen Gebetläuten scharf verurteilt – auch wenn sich der eine oder andere Pfarrer selbst diesem Vergnügen hingab. Und weil diesbezügliche Kirchenerlasse vielfach auf taube Ohren stießen, musste der Teufel höchstpersönlich bemüht werden, um die Spielsüchtigen zur Vernunft zu bringen. In den überwiegend katholischen Gegenden Bayerns und Österreichs (hier vor Allem in Öberösterreich) ranken sich deshalb viele wohl aus dieser Zeit stammende Teufelssagen rund um das Eisschießen.

Und als die Kirche im Zuge der Säkularisierung zu Beginn des 19. Jhdts. ihre Gesetzgebungsgewalt weitgehend verloren und einen Machtverlust erlitten hatte, wurde verstärkt auf die Angst vor dem Teufel gesetzt.

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Das Recht auf Spielen

Während Wettspiele, sog. Hazard, weiterhin angeprangert wurden, schickten sich im ausgehenden 18. Jhdt. viele Vergnügungen an, gesellschaftsfähig zu werden. Der Benediktiner Augustin Schelle teilte 1785 in seiner → Praktischen Philosophie die Ergötzlichkeiten dieser Zeit in verschiedene Gruppen ein. Eisschiessen zählte er zu den bloßen Bewegungen des Körpers. Er befürwortete Lustbarkeiten in gewissem Umfange, wies aber auf eine Reihe von Pflichten hin, die bei den Vergnügungen zu beachten wären. So sollten auf diese Zwecke nur kleine entbehrliche Kosten verwendet werden und keine einzige Art des Vergnügens zur Gewohnheit werden lassen.

Damit wird auch die Denkweise der Renaissance, mit der Rückbesinnung auf die kulturellen Werte der griechischen und römischen Antike fortgesetzt, denn schon Aristoteles sagte über das Spiel:

Spiele, damit du ernst sein kannst. Denn das Spiel ist ein Ausruhen. Und die Menschen bedürfen, da sie nicht immer tätig sein können, des Ausruhens.


Diese Entwicklungen mit dem → Aufleben der Winterspiele setzten sich im 19. Jahrhundert auch unter dem Eindruck großer politischer Veränderungen unvermindert fort.

 

  1. Die Niederlande (Burgundische Niederlande, ab 1556 Spanische Niederlande) umfassten im 16. Jhdt. das Gebiet der heutigen Niederlande, Belgiens, Luxemburgs und einen Teil Nordfrankreichs.
  2. Die sieben nördlichen Provinzen der Niederlande schlossen sich 1579 zur „Republik der Sieben Vereinigten Provinzen“ zusammen und erlangten 1648 die Unabhängigkeit von Spanien. Die Südlichen Niederlande verblieben bei Spanien und bildeten zunächst die Spanischen Niederlande später die Österreichischen Niederlande. Im 19. Jhdt. gingen hieraus das Königleich Belgien und das Großherzogtum Luxemburg hervor.
  3. Die Grafschaft Holland war ab 1581 die führende Provinz der Republik der Sieben Vereinigten Provinzen.
  4. Kinderspel & Kinderlust in den Zuid-Nederlanden, von Alfons de Cock und Isidoor Teirlinck, A. Siffer, Drucker der Royal Academy Vlaamsche 1906
  5. aus: Unsere Heimat – Verein für Landeskunde von Niederösterreich und Wien, Bände 60-61, Seite 261
  6. Die erste Volkszählung im Kurfürstentum Bayern stammt aus dem Jahr 1770. Erheblich umfangreichere Daten ergeben sich aus der „Dachsbergschen Volksbeschreibung“ von 1771 – 1781. Hintergrund dieser Erhebungen war die europäische Hungerkrise von 1770 – 73. Schon 1794 wurde eine erneute Zählung durchgeführt. Die darauf fußenden „Statistischen Aufschlüsse über das Herzogthum Baiern“ beinhalten bereits Statistiken und eine umfassende Landesbeschreibung.
  7. Johann Baptist Strobl, geb. 1748 in Aichach, gest. 1805 in München; bayerischer Publizist und Verleger. Strobl lehrte zunächst am Straubinger Gymnasium, bevor er dann 1777 die Ostensche Verlagsbuchhandlung aufkaufte. 1795 übernahm er das Churbayerische Intelligenzblatt, das er als Plattform für seine patriotischen und aufklärerischen Ziele verwendete.