1788 Unglücksgeschichten

Von den Winterbelustigungen

Jede Jahrszeit giebt uns andere Freuden, meine Lieben! Der Frühling, der Sommer und der Herbst hat euch zu mancherlei Unterhaltungen Anlass gegeben: Ihr eiltet mit Vergnügen auf die grüne Wiese hinaus; bald war der Ball, bald der Ballon, bald ein Kegelspiel und dgl. der Zeitvertreib eurer mäßigen Stunden, bald beschäftigtet ihr euch mit Aufsuchung verschiedener Kräuter und Blumen, haschtet Schmetterlinge oder pflücktet Erdbeere, Kirschen oder was euch die Jahreszeit eben darbot, und so gingen nun diese schönen Jahrszeiten unter wechselseitigen Arbeiten und Belustigungen unbemerkt vorüber und der Winter rückte vor die Türe, ehe ihr euchs versaht. Wie werdet ihr wohl in dieser kalten Jahreszeit eure müßigen Stunden zubringen? Hinter den Ofen werdet ihr wohl nicht sitzen bleiben, wie alte abgelebte Greisen und Mütterchen? Nicht wahr Karl?

Karl:O, ich weiß schon was ich thue, daß mir der Winter gewiß auch kurz werden soll.

Ich:Nu und was denn Laß mal hören?

Karl:Dann mache ich Schneemänner oder baue mir ein ganzes Haus von Schnee begieße es Abends mit Wasser damit es die Nacht hindurch zu Eis friert und dann, und dann …

Ich:Und dann wartest du damit bis die Sonne kommt und dir deine Freuden wieder zu Wasser macht. Aber diese Unterhaltung wird dir bald einformig werden?

Karl:Dann weiß ich mir schon wieder eine andere. Dann bitte ich Petern, dass er mir so einen Stock macht, mit einem Stiel, wie die Herrn hatten, denen wir voriges Jahr auf dem Eise beim Spielen zusahen.

Fitze:Und mir muß der Peter so einen Schlitten auf zwei zugeschliffenen Beinen machen, mit dem ich auf dem Eise wie der Blitz fortfahren kann, so wie ich schon bei anderen Knaben gesehen habe.

Xavier:Und ich kaufe mir Schlittschuhe, und damit rutsche ich so geschwind auf dem Eise weg, daß du dich mit deinem Schlitten gewiß nich einhollen solltest.

Ich:Und da glaubt ihr wohl herrlich damit unterhalten zu sein?

Xavier:Nun warum nicht? Das ist ja lustig und es wird einem noch dabei warm.

Ich:Da hast du ganz recht lieber Xavier, auch bin ich nicht entgegen wenn ihr euch im Winter hübsch in das Freie wagt, euch ein Weilchen im Schnee oder auf dem Eise herumtummelt und nicht viel daraus macht, wenn euch der Wind recht anpfeift, denn das ist gewiß gesünder als das beständige Ofensitzen.

Karl:Das habe ich wohl auch gedacht: denn die Leute sind ja so lustig und froh gewesen, denen wir im vorigen Winter auf dem Eise zusahen, daß es mich recht herzlich gefreuet hat.

Ich:Aber wenn nur alles mit Bescheidenheit, mit Maas, und nicht zu gewagt unternommen würde: die großen Freuden kann sich der Mensch selbst durch unvorsichtigkeit Kühnheit, Unmäßigkeit, und dergleichen verbittern, und nicht selten schadet er seinem Leben, seiner Gesundheit, und seinen Korper, mehr als er ihm nützet; wie ich euch schon mehrere Beispiele bei Gelegenheit erzähler habe. Ihr habt mir nun deutlich genug gesagt, welche Winterbelustigungen ihr angenehm finde,t und zu Zeiten will ich euch auch selbst Gelegenheit zu einigen verschaffen: denn was euren Körper abhärten kann, und ihm zuträglich ist, ohne gefährlich zu werden, halte ich auch für euch erlaubt, und thunlich. Aber damit ihr die Gelegenheiten zu euren Lieblingsunterhaltungen nicht zu unvorsichtig sucht, nicht alles nachmacht, was ihr andere waghalsen seht, und euch auch nicht von bösen Knaben zu allen verleiten lasset, was sie euch für lustig und unterhaltend anpreisen, so will ich euch nunmehro auch die Gefahren zeigen, denen ihr euch aussetzen würdet, wenn ihr die Wünsche in Absicht auf eure Winterbelustigungen wirklich befriedigen könntet.

Karl und Fritz machten große Augen, indem ich während dieser Rede dasjenige Kupferblättchen, das ihr meine kleinen Leser und Leserinnen voran abgedruckt findet, aus meiner Tasche hervorzog und ihnen zur Beurtheilung vorlegte. Was sagst du zu diesen Auftritt, fragte ich letztern, wie gefällt dir der Knabe den man da halb todt aus dem Eise hervorzieht.

Fitze:Aber wie kam er denn da in dieses Loch. Hat er denn keine Augen in den Kopf gehabt?

Ich:Ja wohl! aber lieber Karl! man kann auch mit offenen Augen ins Unglück rennen und all zu grosse Freude macht auch blind, so daß man manchmal die Gefahr nicht sieht, der man entgegen rennt. Der arme Junge da hatte einen solchen Schlitten, wie du dir eben vorhin wünschtest, um auf dem Eise wie der Blitz fortfahren zu können. Er fuhr auch wie der Blitz, sah also die Grube nicht, die die Fischer aufgehauen hatten und die sich seit den vorigen Abend wieder mit einem dünnen Eise überzogen hatte, fuhr und spornte seinen Schlitten und lag im Loch ehe er sichs versah. Wären zum Glücke nicht eben mehrere Leute auf dem Eise gewesen, so würde es um ihn geschehen gewesen sein, aber ein anderer erwachsener Junge sah seinen Sturz, eilte hinzu, rief um Hilfe und erwischte ihn noch beim Haaren, bei denen er ihn so lange empor hob bis auch mehrere Leute kamen, und ihm selben herausziehen halfen.

Karl:Er war aber doch nicht todt?

Fitze:Wenn er sich nur nicht wehe gethan hat!

Xavier:O! wie muß ihn gefroren haben, wenn seine Kleider alle von eiskaltem Wasser durchnäßt waren! der arme Junge!

Ich:Hört nun, wie es weiter gieng. Er war nicht todt, lieber Karl! als man ihn aus dem Wasser zog: aber er wußte sehr wenig um sich selbst und seine Glieder waren wie erstarrt. Denn da er sich durch das Antreiben seines Schlittens, das mit beständiger Bewegung verbunden war, sehr erhizt hatte, so war diese plötzliche Erkältung seiner Gesundheit sehr gefährlich: daher kam dieses Erstarren aller seiner Glieder, und dieses Unbewußtfein seiner selbst. Wir haben ja Beispiele, wo die Erkältung, wenn sie auch nicht so schauderhaft war, aber auf eine vorhergegangene Erhitzung folgte, die traurigsten Zufälle verursacht, und Schnuppen, Kathare, Flüsse, Halswehe, Husten, Zahnschmerzen u. d. gl. nach sich gezogen hat; um so mehr mußte sie bei dem erstarrten Knaben eine ungleich stärkere Wirkung machen: wozu freilich auch die unvorsichtige Behandlung, die man mit ihm vornahm, vieles noch verschlimmert haben mag. Denn man trug ihn gleich darauf in ein nah gelegenes Haus, wo es sehr warm eingeheizt war. Das hätte man freilich nicht thun sollen: denn von der Hitze in die Kälte, und von der Kälte wieder in die Hitze, das mag die beste Natur erschüttern, und zerrütten: aber die guten Leute, worunter größtenteils unerfahrene junge Bursche waren, verstundens nicht besser; sie glaubten gleichwohl in der Wärme würde er am besten wieder aufhauen, und legten den halbtodten Schlittenfahrer recht nah an den Ofen.

Karl:Nu! und ist denn das so weit gefehlt? Ich dächte doch, beim Ofen würde er sich ja am ehesten wieder haben erwärmen können:

Ich:Dass das weit gefehlt ist, lieber Karl! will ich dir bald begreiflicher machen. Als dir vorriges Jahr die Finger aufbrachen, was glaubst du wohl, dass die Ursache davon war?

Karl:Weil ich mich gefroren hatte.

Ich:Und weil du dann mit deinen Händen gleich zum Ofen liefst, da sie von Kälte noch roth und blau waren, und sie da selbst erwärmen wolltest. Weißt du noch, welche Schmerzen du damals an deinen Händen leiden mußtest? Wie du dich beklagtest, als wenn lauter Nadel und Nägel in deinen Fingern steckten?

Karl:O ja! diesen Schmerzen möchte ich in meinen Leben nicht mehr leiden.

Ich:Nun schlüsse also, wie gefährlich es, ist von der Kälte zum Ofen zu treten, und wie weit gefährlicher es für den erstarrten Knaben war, da man ihn so schnell zum Ofen brachte. Was glaubst du wohl, daß mit deinen Fingern geworden sein würde, wenn wir nicht schleunig ein Mittel vorgekehrt hätten (* Wenn die Glieder wirklich schon aufgebrochen sind, so bestreicht man dieselben mit einer Salbe aus klein gestoßnen gefrornen Rüben, die mit Schmalz, Butter oder Baumöl über dem Feuer zusammengerührt worden) ? Wie bald hätte es geschehen können, daß eine gefährliche Geschwulst, der kalte Brand, oder ein anders dazugeschlagenes Uebel dich um deine Hand, um den ganzen Arm, ja sogar ums Leben hätte bringen können? – Du bist erstaunt? merke dir also die Gefahr, in der du stecktest, und hüte dich, nie wieder so unbehutsam zu sein.

Karl:O das will ich mir merken.

Fritze:Und ich mir auch!

Xavier:Aber wo soll man denn hingehen, wenn einem friert, wenn man nicht ins warme Zimmer oder zum Ofen gehen darf?

Ich:In ein mäßig gewärmtes Zimmer, und auch da nicht zum Ofen oder ans Feuer; und merkt man, daß man sich die Finger, oder Füsse schon verfroren hat, so reibe man sie mit Schnee, oder stecke sie in ein kaltes Wasser, bis sich Leben und Empfindung wieder einstellen, dann kann man sie mit trockenen Tüchern reiben, und zuletzt mit Brantewein, Steinöl (* Eben dieses Öl und Kampfergeist verhüten auch das Aufbrechen der erfrorenen Glieder, wenn sie zu jucken anfangen. Das Steinöl mit weisden Lilienöl vermischt dienet hierzu vortrefflich.), oder Kampfergeist kalt waschen, und sie so wieder erwärmen und zum Leben zurückbringen (* Die Nordländer haben die Gewohnheit, wenn sie von der Kälte nach Hause kommen, dass sie ihre Hände Nasen, und Ohren mit Schnee reiben, bevor sie an ein Feuer oder in ein warmes Zimmer treten, und es bestätigt sich, daß dieses Reiben vom großen Nutzen ist.) Eben so hätten es die Leute, welche den erfrorenen Jungen aus dem Eise zogen, mit ihm machen sollen, dann würde nicht erfolgt sein was nachher geschah.

Karl:Hat er etwa gar sterben müssen?

Ich:Ja, leider mußte er das! und zwar auf eine recht elende Weise, die euch für immer abschrecken sollte, dem Eise nicht zu sehr zu trauen, und der Kälte nicht zu kühn zu trotzen. Als man ihn endlich mit vieler Mühe wieder zu sich selbst gebracht, und seine Glieder erwärmt hatte, so trug man ihn seinen Eltern nach Hause, und um sie nicht so sehr zu erschrecken, schilderte man ihnen die Gefahr weit geringer als sie gewesen war, daß sie also auch keine weitere Hilfe mehr nöthig glaubten, und ihn sich selbst überließen, in der Hoffnung, die Natur und Zeit werde ihn schon wieder herstellen wie vor und ehe. Allein es verloren 8 – 14 Tage; der Knab konnte zwar wieder auf sein, er gieng im Hause herum, aß und trank wie zuvor, und niemand vermuthtete mehr, daß eine üble Folge nachkommen würde. Ein heftiger Husten blagte ihn zwar seither immer, und auch seine gewöhnliche Lebhaftigkeit hatte er verloren: allein daraus schien man nicht viel zu machen: endlich aber, da das Uebel immer ärger wurde, da mit dem Husten auch oft Blut zum Vorschein kam, und der Knabe sichtbarlich an Fleisch und Kräften abnahm, lief man erst zu einem Arzt, der hätte nun gleich helfen und wieder gut machen sollen, was man aus zu weniger Vorsicht die ganze Zeit über versaumt hatte. Allein, als dieser den ganzen Verlauf der Geschichte hörte, erschrak er nicht wenig, und wunderte sich nur, wie der arme Junge nicht gleich todt geblieben ist, da man so unverzeihlich mit ihm zu Werke gegangen war. Er erkannte das Uebel bald, aber er erklärte es nunmehr auch für unheilbar, und alle Hilfe für zu spät.

Karl:Ach! das mag für seine Eltern ein trauriger Trost gewesen sein!

Ich:Ja! lieber Karl! und zwar um so mehr, da sie sich selbst einen großen Theil der Schuld, ihr Kind so frühzeitig verlieren zu müssen, beizumessen hatten. Eine tödtliche Brustkrankheit hatte sich des Knabens nun so sehr bemächtiger, daß es von Tag zu Tage immer schlechter mit ihm wurde. Seine Lunge wurde durch das beständige Husten noch mehr hergenommen, und sein Körper immer mehr geschwächt: dazu gesellte sich noch ein häufiger Blutauswurf, der endlich sein Leben volllends zerstörte, und ihn schon in seinem zwölften Jahre wieder aus dieser Welt lieferte, worin er mit der Zeit vielleicht noch viel Gutes, und viel zum Wohl der Menschheit nützliches hätte beitragen können. Denn wer ihn kannte, sagte, daß er ein gelehriger und folgsamer Knabe gewesen sei. Nu! Fritz, verlangst du dir noch mehr mit einem solchen Beinschlitten dich auf dem Eise herumzutummeln?

Fritze:O nein! lieber Papa! – der arme Knabe da hat mirs ganz abgeschreckt.

Ich:Das möchte ich eben nicht: aber behutsamer, wenn dich seine Geschichte gemacht hat, so bin ichs zufrieden: du kannst es allerdings einmal versuchen, wie das läßt, so auf einem Beinschlitten zu fahren, und ich will dann selbst dabei sein: aber da musst du dir vorzüglich merken, daß du dir einen solchen Platz dazu wählest, von dem du versichert bist, daß er dicht genug gefroren, daß er niergends aufgehauen und kurz mit gar keiner Gefahr verbunden sei: dabei hast du ferners zu beobachten, daß du deinen Schlitten nicht im Kreise tummelst: denn das könnte dich abwerfen; daß du nicht mit muthwilligen Buben in die Wette fährst, damit sie dich nicht über den Haufen stossen; und endlich daß du dich dabei so mäßig und bescheiden beträgt, als es einen anständigen Knaben geziemt, und dich überhaupts vor übermäßiger Erkältung in Acht nimmst.

Fitze:O ich wills lieber gar nicht versuchen, und mir einen andern Zeitvertreib wählen.

Ichl:Desto lieber wirst du mir sein: denn du würdest dich doch nicht enthalten können, überall voran zu sein und wer weis, wie theuer dir dein Vergnügen zu stehen käme, und ob nicht ein Loch im Kopf, oder ein anderer böser Fall dir alle Wintersfreuden mit einemmale abschnitte.

Fritze:Ich will also mit Karln Schnee zusammenwälzen, und Männer und Häuser davon bauen.

Ich:Auch hier muß ich etwas erinnern.

Karl:Nu! so wird uns wohl bald nichts mehr übrig bleiben?

Ich:O seid unbesorgt: ihr werdet doch genug zu thun kriegen. Da auf der Kupfertafel seht ihr auch einige Knaben, welche Schnee auf dem Berge zusammenwälzen, und ihn dann in grossen Balllen den Berg herabrollen lassen. Gesetzt auch, daß dadurch kein Schaden entsteht, daß so ein Ballen keinen trift, und ihm einen Fuß wegschlägt, so erfrieren einem doch manchmal, besonders wenn es wie gewöhnlich ohne Handschuh geschieht, die Hände so sehr, daß man sein Lebetag daran zu kurieren hat. Man bekommt Winterbäulen an Händen und Füssen, weil bei grosser Kälte der Kreislauf des Bluts an diesen äußern Theilen am meisten gehemmt wird: so oft sich dann bei annähernden Winter der Frost wieder einzustellen pflegt, so empfindet man ein unerträgliches Jucken an diesen Gliedern, wobei fsie aufschwellen, roth und blau werden, und manchmal gar aufbrechen: auch weiß man schon Beispiele, daß solche Glieder von dem kalten Brand angesteckt wurden, und gänzlich von den übrigen weggeschnitten werden mußten: wie ich wirklich einen Mann kenne, der nun statt zween gesunden Füßen ein paar abgestumpfte Beine hat, mit denen er auf dem Boden von ein paar Krücken unterstützt fortrutscht. Das ist aber ein elender und höchstbeklagenswürdiger Zustand meine lieben Kinder! der euch unfähig machen würde, einst brauchbare Leute für diese Welt zu werden. Gesetzt ihr hättet eure Hände mit dem täglichen Schnee zusammenrollen einmal so verfroren, daß eure Finger unenpfindlich würden, daß ihr jährlich all die Unbequemlichkeiten daran auszustehen hättet, die ich eben erzählt habe, und müsstet etwa mit Schreiben oder mit sonst einer heicklichen Händearbeit euer Brod gewinnen, wie sehr würde euch eine solche Fingerkrankheit nicht daran verhindern? Wie weit würde euch ein solcher Zustand in euren Arbeiten nicht hinterstellig machen? – Eben das also könnte sich auch ereignen, wenn ihr mit zu vielem Eifer dem Baue eurer Schneehäuser und Schneemänner obläget, denn man vergisst, daß einem friert, wenn man einmal lange in der Kälte ist, und rastlos an seiner Lieblingsarbeit haftet, und empfindet sich nicht eher, als bis man im warmen Zimmer aufzuhauen anfängt. Aber dann leidet man auch meistentheils schon an den Folgen der zu heftigen Erkältung. Dir, lieber Karl! darf ich das nicht weiter erklären, du hast es schon einmal mit Schaden empfinden müssen; wie ich dich schon vorher erinnerte: aber damit deinen beiden Brüdern nicht auch das nämliche widerfahre, so warnte sie ja immer, wenn ihr auch wirklich einer solchen zergänglichen Beschäftigung oblieger, sich nie mit blossen Händen an dergleichen Arbeiten zu wagen, und dieselben so kurz und behände als möglich zu enden; nie gleich von der rauhen Luft ins warme Zimmer, und noch viel weniger zum Feuer zulaufen; und endlich, wenn ihr ja fühlet, daß eure Finger zu sehr erstarret sind, selbe zuvor mit Schnee zu waschen, ehe ihr sie in die Wärme bringer. Diese Vorsicht ist um so nothwendiger, da ihr die Gefahren der Erkältung noch nicht einsehet, und es dann nur Reue bringt, wenn ihr selber aus Erfahrung erst kennen gelernet habet.

Fitze:Aber mit dem Stocke schießen dürfen wir doch?

Xavier:Oder mit Schlittschuhen schleifen?

Ich:Beides; aber allzeit unter eneres gleichen und mit der gehörigen Vorsicht, die ich euch lehren werde. Eines wie das andere könnte euch höchst schädlich werden; von der Erkältung nichts mehr zu gedenken, welcher ihr euch bei allen dergleichen Spielen im Schnee und auf dem Eise aussetzet. Hier, meine Lieben! gibt es wieder ganz andere Gefahren. Ich sah einmal zwei traurige Beispiele, welche sich bei dem Eisschießen zutrugen, und an die ich noch nicht ohne Schauder gedenken kann. Ich will euchs einmal erzählen.

Xavier:O erzählen Sie sie jetzt!

Ich:Wenn ihr nicht schon müde seid, mich anhören zu wollen?

Alle:O nein! wir wollen gerne zuhören.

Ich:Wenn das euer Ernst, ist so ists mir lieb; denn ich bilde mir ein, daß ihr euch alles was ich euch sage, zu Nutzen machen wollet. Ich sah einst einigen jungen Leuten auf dem Eise zu, als sie mit dem Stocke spielten; da trafs sich, daß gerade einer zum Abschießen fertig stand, als ein anderer hinter ihm sich bückte, um seinen Stock auf zuheben. Ersterer hatte diesen nicht bemerkt, schwang mit aller Kraft seinen Stock, und traf zum Unglück rücklings leztern so gewaltig vor die Stirne, daß er weit hinter ihm wegstürzte, und in einer halben Stunde darauf seinen Geist aufgab: denn sein ganzer Kopf war zerschlagen, und sein Blut und Gehirn an dem eisernen Ring des Stockes kleben geblieben. Ein andersmal sah ich einen, der sich mit seinem Eisstock im währenden Ausholten so gewaltig vor das Schienbein schlug, daß er vor Schmerzen brüllte und fluchte. Der Fuß schwoll gleich gewaltig auf, und so wie ich nachher vernahm, soll er, so lang er lebte, daran zu heilen gehabt haben. Solche traurige Beispiele, meine Lieben! ereignen sich alle Winter auf dem Eise, und wer kann euch bürgen. daß ihr nicht noch die Anzahl derselben vermehret?

Mit den Schlittschuhschleifen hat es eine eben so gefährliche Bewandtnis, wenn man nicht wohl darinn geübt ist, oder nicht die besondere Geschicklichkeit besitzt, seinen Körper nach allen Wendungen im Gleichgewicht erhalten zu können. Freilich erlangt durch diese Uebung der Körper eine besondere Leichtigkeit, und meines Erachtens ist diese Ergötzung eine von den vorzüglichsten Belustigungen, die sich ein junger Mensch im Winter wählen sollte: allein er muß seine Fähigkeit dazu wohl kennen, und darf sich, besonders bis er seiner Geschicklichkeit gewiß ist, nie zuviel wagen, wenn er sich nicht Arm, Kopf und Beine auf dem Eise zerquetschen will. In Holland ist diese Übung absonderlich in Schwunge; denn da dieses Land durch und durch mit Kanälen durchschnitten ist, so sieht man zur Winterszeit wenn sie gefroren sind, die Bauernbursche nud Mädchen oft mit Körben auf den Köpfen nach den Städten, oder von denselben zurück auf Schlittschuhen eilen, und zwar mit solcher Geschwindigkeit, daß sie der beste Reiter nicht einholen konnte. Es vergeht aber auch kein Winter, in dem nicht viele Unglücksfälle auf diese Art geschehen; und den besten und berühmtesten Schlittschuhschleifern hat es schon misslungen, und sie müssen nun ihre Arme in Schlingen, oder ihren Körper auf Krücken tragen.

Karl:So dürfen wir also gar nicht aufs Eise gehen?

Ich:Ich habe es euch nicht verboten: aber die Gefahr habe ich euch gezeigt, in die ihr auf demselben theils durch Erkältung, theils durch Fallen, theils auf eine andere unvorhergesehene Weise gerathen könnet: und ihr wißt, Gefahren muß man meiden, oder sich davor sicher wissen. Eben dir, lieber Karl! ist hierin am wenigsten zu trauen; denn dein flüchtiger und unüberlegter Geist, und deine rasche Hitze, die dich bei allen Freuden außer Fassung sezt, dich wie in einem Wirbel fortreißt, und gar keine Gefahr sehen läßt, wenn sie dir auch vor der Nase stünde, könnten dir auf einmal einen gewaltigen Strich durch alle deine Wintersfreuden machen. Was meinst du, habe ich recht oder nicht?

Karl:Ja! aber –

Ich:Ich merke, was du sagen willst: aber sei unbekümmert, du sollst doch schon auf das Eise kommen; ich selbst will mit dir dahingehen, und sehen wie du dich dabei benimmst.

Karl:O ich will mich gewiß in Acht nehmen: Sie sollen eine Freude an mir haben! gewiß! gewiß!

Ich:Du kannst dich ja jetzt kaum mehr mäsfigen? – Aber höre, lieber Karl! ich wüßte noch andere Freuden für dich und deine Brüder diesen Winter hindurch. Was meinst du? –

Fitze:O sagen Sie sie uns, lieber Papa!

Xavier:Ich will dann immer zu Hause bleiben.

Ich:Nein! das nicht; ihr sollt alle Wochen, wenn das Wetter nicht zu naß und zu ungestüm ist, etlichmal in die reine frische Luft kommen: denn das wird euch gesund sein. Aber wißt, wie wir das anstellen, daß ihr auch dabei unterhalten seid? – Wenn es einmal Schnee giebt und es recht friert, so gehet ihr dann alle Tage eine oder ein paar Stunden im Hof oder im Garten hinab: nehmt Schaufeln und Latten, und häufet den Schnee auf einer Seite in der Länge eines Gartensbeets so zusammen, daß er höher liegt, als der übrige; macht dann auf beiden Seiten dieses Schneebeets kleine Aufwürfe von Schnee, etwa noch eine Spanne höher, als das aufgeworfene Beet; bespritzt dieses mit Wasser, ebnet es so gut ihr könnt, und wartet bis es recht zusammenfriert: so habt ihr dann beinahe für den ganzen Winter hindurch eine Eisbahn, worauf ihr wenn ihrs verdienet habt, mit kleinen Stöcken spielen, und einige eurer Gespielen dazu einladen könnet: wobei ihr weniger Gefahr laufet, als wenn ihr mit losen Buben auf einem andern Eise zusammenkämet, und euch der Schande ausseztet, von ihnen mißhandelt oder beschimpft zu werden. Seid ihr dann hübsch gehorsam und einig, und machet mir und euren Lehrern keinen Verdruß, so will ich schon Gelegenheit finden, euch bisweilen zu einem guten Freund auf das Land eine Schlittenfahrt mit mir machen zu lassen. Ist das Wetter ungestüm, so, daß ihr weder auf eurem Eise zusammenkommen noch sonst in das Freie gehen könn: dann könnt ihr euch zu Hause mit Polzschießen unterhalten, wozu ich euch öfters etwas auszuspielen geben werde, damit eure kleinen Freunde auch mit euch unterhalten sind. Und endlich habe ich noch einen anderen Vorschlag, den ich gar gerne ausgeführt sähe, und der euch eben so nützlich als angenehm sein wird.

Fritze:O das ist ja recht hübsch! sagen Sie doch lieber Papa?

Ich:Ihr kennet Weissens Kinderspiele, die ich euch schon einmal vorgelesen habe?

Karl:Wo die kleine Aehrenleserin darinn ist?

Ich:Ja!

Fitze:Und die – die – wie heißts doch gleich! die Näscherin?

Ich:Ja! die nämlichen möchte ich einmal, daß sie von euch aufgeführt würden. Eure Freunde und Gespielen würden wohl auch mitmachen? Denn ihr allein könntet sie doch nicht vorstellen, weil in jedem Stücke mehr als drei Personen auf Bühne kommen.

Alle:O das ist allerliebst! das ist lustig.

Ich:Meint ihr das? – Aber ihr müßt dann auch vieles auswendig lernen, und so, wie ihr sonst redet, alles ohne Anstoß hersagen können; und du Fritz bist eben kein großer Freund von der gleichen Sachen?

Fitze:Das lerne ich doch mit: denn das freuet mich.

Ich:Nu, wir wollen sehen; es kömmt nur darauf, an daß ihr euch gut und folgsam aufführt, wenn ihr wollet, daß ich euch diese Freude machen soll.
Alle: Gewiß! gewiß! lieber Papa!

Ich:Verlangt ihr nun noch, daß ich euch Schlittschuh kaufen, und daß euch Peter Beinschlitren machen soll?

Alle:Nein! nein!

Karl:Wir haben ja so die Hände voll zu thun, wenn wir uns im Hofe oder im Garten eine Eisbahn machen dürfen!

Fritze:Und wenn wir dann Komödie spielen!

Xavier:Und mit ihnen, lieber Papa! im Schlitten fahren dürfen; o das wird durchausgehen!

Ich:Ja! da hast du recht, lieber Xavier! das wird durchausgehen, daß es eine Lust sein wird: aber wohlgemerkt, nur dann wenn du dich wohlhältst, und rechtschaffen lernest, sonst kannst du hübsch zu Hause bleiben. Noch eine Warnung, welche die Kälte betrifft, hätte ich bald vergesse, nund sie fällt mir eben jezt bei, weil ich einmal bei Gelegenheit einer Schlittenfahrt von der Notwendigkeit derselben überzeugt wurde. Ich hatte einmal im Winter einen alten Pfarrer, einen sehr guten Freund von mir besucht: während mein Schlitten schon eingespannt im Hofe stand, und ich bei ihm im Zimmer war, um Abschied zu nehmen, hatten sich etliche Bauersknaben um selben versammelt, um das schöne Schlittengeläut zu besichtigen. Es war sehr kalt, und die eisernen Bänder rückwärts am Schlitten waren vom Reife weis. Ein Knabe, welcher gerade die Höhe hatte, um rückwärts über die Schlittenlehne hereingucken zu können, stellte sich mit beiden auseinander gespreiteten Füßen auf das untere Schlittengestelle, und schwang sich so hinauf, indem er sich oben mit beiden Händen festhielt. Ich weiß nicht, was ihn gereizt haben muß, an dem mit Eise überzogenen eisernen Bändern zu lecken; allein kaum hatte er die Zunge hin angebracht, so klebte sie auch daran; er winselte, und da er sich mit Gewalt losriß, so blieb auch die ganze Haut an den Eisen hangen, und seine Zunge war so verwundet, daß es erbärmlich anzusehen war. Auch könnt ihr euch leicht vorstellen, daß dieser Schmerzen unbeschreiblich gewesen sein müsse; denn wie sehr schmerzt es nicht, wenn ihr euch nur ein wenig auf eure Zunge beißet, oder euch daran brennet?

Karl:Aber da wird er ja nicht mehr haben essen können?

Ich:Ja wenigstens keine sauere oder warme Speisen, und auch die übrigen mit der schmerzhaftesten Empfindung. Nehmt euch also in Acht, daß ihr nie eure Zunge an ein der Kälte ausgesetztes Eisen bringet, damit ihr diesen sowohl zum Essen als Reden unumgänglich nöthigen Werkzeug nicht zerfezet; und merkt euch überhaupt alles, was ich euch von den Gefahren der Erkältung, und der Winterbelustigungen gesagt habe: dann werdet ihr immer gesunde Hände und Füße behalten, euch freuen, wenn der Winter wieder kommt, und keine Winterbäulen werden euch die Ankunft desselben mit Schmerzen empfinden lassen.