Das Eisschießen
Aber sehet da, liebe Freunde, während wir hier traulich schwatzen, ist der Winter herbeigekommen; der freundliche Garten ist seines grünen Laubschmuckes beraubt, der weiche Rosenteppich und die schmucken Blumen schlummern unter blendender Schneedecke und sogar der kleine Weiher, auf dem wir so oft im schaukelnden Kahne herumfuhren, ist bis auf den Grund gefroren und trägt die reine weiße Uniform der ganzen Natur, so daß man ihn kaum von den Gartenwegen und Blumenbeeten unterscheiden kann. Gönnen wir den Bäumen, dem Rasen und den Blumen ihre Ruhe, sie haben uns ja so lange ergötzt, und bedürfen des Schlummers, und wenn die Frühlingshora ruft, wieder recht frisch und munter von ihren dürftigen aber gesunden Lagerstätten aufzuspringen. Doch der Weiher soll uns nicht so brach liegen. dem müssen wir eine neue Winterlust abgewinnen. Lassen wir ihn vorerst sauber vom Schnee reinigen, und dann mit der Gießkanne einige Male recht gleichmäßig bespritzen, damit er fein glatt und eben werde, und versuchen wir dann an einem hellen und nicht zu grimmig kalten Nachmittag:
Das Eisschiessen
Aber ich vergesse ganz, daß Sie diese angenehme Winterbelustigung noch nicht kennen, und muß mich daher beeilen, eine kleine Anweisung dazu nachzutragen. Das Spiel wird wie schon gesagt, auf einer glatten, vom Schnee gereinigten Eisbahn gespielt, wobei jeder Mitspielende eines Eisstockes bedarf. Dieser besteht aus einer unten recht gut geglätteten Scheibe von Linden- oder Ebenholz, die 6 Zoll im Durchmesser hat, und oben mit einem etwa Hand breiten geradauf stehenden Stiele versehen ist. Der Dauerhaftigkeit halber kann man die Scheibe auch mit einem eisernen Reif einfassen, was jedoch nicht unumgänglich notwendig ist. Außer diesen Scheiben brauchen wir nur noch einen viereckigen hölzernen Klotz von einem Fuß im Gevierte, welcher als Zielpunkt dienen soll und der „Hasel“ heißt.
An dem Spiele können so viele Personen Theil nehmen, als Eisstöcke vorhanden sind; doch läßt es sich mit einer geraden Anzahl von Spielenden besser als mit einer ungeraden rangieren. Um den Rang unter den Spielenden zu bestimmen, schießt vorläufig jeder einmal nach dem Hasel, indem er seinen Eisstock mit der glatten Fläche auf dem Eise hinschleudert. Wer dem Hasel am nächsten kömmt, der erhält den Namen „Engmaier“. Er wählt sich von den Mitspielenden so viele Gehülfen, daß sie ihn mitgerechnet gerade die Hälfte der Theilnehmer machen, z. B. wenn 8 Spieler vorhanden sind, wählt sich der Engmaier 3 Gehülfen, so daß noch 4 Personen übrig bleiben. Wer von diesen am weitesten vom Hasel geschossen hat, wird „Weitmaier“ und erhält den noch übrigen Rest der Gesellschaft zu Gehülfen. Um jedem Streite vorzubeugen wird es zweckmäßig sein, wenn jeder Schütze seinem Eisstocke einen Zettel mit seinem Namen oder mit einer Nummer anklebt, weil sonst, besonders bei vielen Mitspielern, schwer zu bestimmen ist, wer diesen oder jenen Wurf getan habe. Nachdem Alle ihre Eisstöcke zurückgenommen haben, theilen sie sich in zwei Parteien; die des Engmaiers und jene des Weitmaiers.
Der Weitmaier macht immer den Anfang des Spieles, indem er zuerst seinen Eisstock nach dem Hasel abschießt. Ihm folgt unmittelbar der Engmaier. der seinen Gegner vom Ziele zu entfernen (wegzuschießen) trachtet. Die Gehülfen der beiden Maier suchen denselben Zweck zu erreichen, und so ihren Anführer in seinem Streite zu unterstützen. Die Partei desjenigen Maiers, die dem Hasel am nächsten ist, hat gewonnen und sobald Alle ihre Eisstöcke abgeschossen haben, ist die erste Partie beendigt, welche sechs zählt. Nun beginnt die nächste Partie, indem der gewinnende Maier wieder den ersten Schuß nach dem Hasel versucht, ihm folgt der in der ersten Partie besiegte Gegner welcher ihn wieder vom Ziele wegzuschießen strebt und dabei von seinen Gehülfen unterstützt wird. Sind alle Eisstöcke abgeschossen, so wird die Entfernung der beiden Maier vom Hasel gemessen und der dem Ziele zunächst stehende hat drei gewonnen. Eben so geht es bei der dritten Partie, welche wieder drei zählt. Sobald eine Partie zwölf zählt, ist das Spiel geendet. Finden sich die Theilnehmer geneigt, ein neues Spiel zu beginnen, so wird von Neuem zur Wahl eines Maiers geschritten; dabei hat der Sieger im vorigen Spiele den Vorzug und macht den Anfang, während der im letzten Spiele besiegte Maier warten, muß bis alle Schützen ihre Eisstöcke abgeschossen haben. Der Nächste am Hasel wird wieder Engmaier, der Weiteste davon Weitmaier usw. Der Spielpreis besteht gewöhnlich in Nüssen oder andern kleinen Gegenständen. Die besondern Regeln des Spieles sind folgende:
1) Jeder Maier kann seinen Gehülfen vorschreiben, wie und wohin sie ihre Schüsse richten sollen, und ihm selbst sind jedesmal zwei Schüsse vorbehalten; macht er aber von diesem Rechte Gebrauch, so muß er dafür im Falle er mit feinen Genossen verliert, an den Sieger den doppelten Spielpreis bezahlen.
2) Zählt die eine Partie schon zwölf, die andere dagegen noch gar nichts, d.h. hat jene schon alle drei Partien, diese aber noch gar keine gewonnen, so heißt man dies „schneidern. Hat dagegen die eine Partie schon neun gezählt während die andere noch gar keine Partie gewonnen hat, und vermag sich diese dem ungeachtet auf zwölf emporzuschwingen, so ist die besiegte Partei zurückgeschneidert oder gerenelt und muß dafür daß sie den errungenen Vortheil so schlecht zu benützen wusste den doppelten Spielpreis zahlen.
3) Sind am Ende einer Partie die Eisstöcke der beiden Maier so gleich vom Ziele entfernt, daß man selbst bei genauer Messung keinen Unterschied findet, so wird Kehr gemacht und die Partie von Neuem begonnen,
4) Sind die Spielenden in ungerader Anzahl versammelt, z. B. fünf, sieben usw., so erhält der Weitmaier, welcher ohnedies der schwächere Schütze ist, und mit jenen Gehülfen vorlieb nehmen muß, die ihm der Engmaier übrig gelassen, den überzähligen Genossen zu seiner Partie.
Dieses Spiel gewährt eine gesunde und angenehme Bewegung im Freien, es übt den Körper, die Hand, das Auge. Mit frischgeröteten Wangen werden die Schützen vom Eise heimkehren und beim Vesperbrod dem daheimgebliebenen Schwesterchen die vollbrachten Taten erzählen; es wird eine der angenehmsten Winterbelustigungen sein; – aber der böse Dämon des Zankes, der Gewinn und Ehrsucht, muß davon ferne bleiben; jeder soll trachten, seine eigene Geschicklichkeit zu zeigen, aber auch seinen Genossen Billigkeit und Anerkennung widerfahren lassen. Hand in Hand geht’s sich am besten, im Spiele wie im Leben.