1842 Wissen ist Leben

Das Eis­schie­ßen

Aber sehet da, liebe Freun­de, wäh­rend wir hier trau­lich schwat­zen, ist der Win­ter her­bei­ge­kom­men; der freund­li­che Gar­ten ist sei­nes grü­nen Laub­schmu­ckes be­raubt, der wei­che Ro­sen­tep­pich und die schmu­cken Blu­men schlum­mern unter blen­den­der Schnee­de­cke und sogar der klei­ne Wei­her, auf dem wir so oft im schau­keln­den Kahne her­um­fuh­ren, ist bis auf den Grund ge­fro­ren und trägt die reine weiße Uni­form der gan­zen Natur, so daß man ihn kaum von den Gar­ten­we­gen und Blu­men­bee­ten un­ter­schei­den kann. Gön­nen wir den Bäu­men, dem Rasen und den Blu­men ihre Ruhe, sie haben uns ja so lange er­götzt, und be­dür­fen des Schlum­mers, und wenn die Früh­lings­ho­ra ruft, wie­der recht frisch und mun­ter von ihren dürf­ti­gen aber ge­sun­den La­ger­stät­ten auf­zu­sprin­gen. Doch der Wei­her soll uns nicht so brach lie­gen. dem müs­sen wir eine neue Win­ter­lust ab­ge­win­nen. Las­sen wir ihn vor­erst sau­ber vom Schnee rei­ni­gen, und dann mit der Gieß­kan­ne ei­ni­ge Male recht gleich­mä­ßig be­sprit­zen, damit er fein glatt und eben werde, und ver­su­chen wir dann an einem hel­len und nicht zu grim­mig kal­ten Nach­mit­tag:

Das Eis­schies­sen

Aber ich ver­ges­se ganz, daß Sie diese an­ge­neh­me Win­ter­be­lus­ti­gung noch nicht ken­nen, und muß mich daher be­ei­len, eine klei­ne An­wei­sung dazu nach­zu­tra­gen. Das Spiel wird wie schon ge­sagt, auf einer glat­ten, vom Schnee ge­rei­nig­ten Eis­bahn ge­spielt, wobei jeder Mit­spie­len­de eines Eis­sto­ckes be­darf. Die­ser be­steht aus einer unten recht gut ge­glät­te­ten Schei­be von Lin­den- oder Eben­holz, die 6 Zoll im Durch­mes­ser hat, und oben mit einem etwa Hand brei­ten ge­rad­auf ste­hen­den Stie­le ver­se­hen ist. Der Dau­er­haf­tig­keit hal­ber kann man die Schei­be auch mit einem ei­ser­nen Reif ein­fas­sen, was je­doch nicht un­um­gäng­lich not­wen­dig ist. Außer die­sen Schei­ben brau­chen wir nur noch einen vier­ecki­gen höl­zer­nen Klotz von einem Fuß im Ge­vier­te, wel­cher als Ziel­punkt die­nen soll und der „Hasel“ heißt.

An dem Spie­le kön­nen so viele Per­so­nen Theil neh­men, als Eisstö­cke vor­han­den sind; doch läßt es sich mit einer ge­ra­den An­zahl von Spie­len­den bes­ser als mit einer un­ge­ra­den ran­gie­ren. Um den Rang unter den Spie­len­den zu be­stim­men, schießt vor­läu­fig jeder ein­mal nach dem Hasel, indem er sei­nen Eis­stock mit der glat­ten Flä­che auf dem Eise hin­schleu­dert. Wer dem Hasel am nächs­ten kömmt, der er­hält den Namen „Eng­mai­er“. Er wählt sich von den Mit­spie­len­den so viele Ge­hül­fen, daß sie ihn mit­ge­rech­net ge­ra­de die Hälf­te der Theil­neh­mer ma­chen, z. B. wenn 8 Spie­ler vor­han­den sind, wählt sich der Eng­mai­er 3 Ge­hül­fen, so daß noch 4 Per­so­nen übrig blei­ben. Wer von die­sen am wei­tes­ten vom Hasel ge­schos­sen hat, wird „Weit­mai­er“ und er­hält den noch üb­ri­gen Rest der Ge­sell­schaft zu Ge­hül­fen. Um jedem Strei­te vor­zu­beu­gen wird es zweck­mä­ßig sein, wenn jeder Schüt­ze sei­nem Eis­sto­cke einen Zet­tel mit sei­nem Namen oder mit einer Num­mer an­klebt, weil sonst, be­son­ders bei vie­len Mit­spie­lern, schwer zu be­stim­men ist, wer die­sen oder jenen Wurf getan habe. Nach­dem Alle ihre Eisstö­cke zu­rück­ge­nom­men haben, thei­len sie sich in zwei Par­tei­en; die des Eng­mai­ers und jene des Weit­mai­ers.

Der Weit­mai­er macht immer den An­fang des Spie­les, indem er zu­erst sei­nen Eis­stock nach dem Hasel ab­schießt. Ihm folgt un­mit­tel­bar der Eng­mai­er. der sei­nen Geg­ner vom Ziele zu ent­fer­nen (weg­zu­schie­ßen) trach­tet. Die Ge­hül­fen der bei­den Maier su­chen den­sel­ben Zweck zu er­rei­chen, und so ihren An­füh­rer in sei­nem Strei­te zu un­ter­stüt­zen. Die Par­tei des­je­ni­gen Mai­ers, die dem Hasel am nächs­ten ist, hat ge­won­nen und so­bald Alle ihre Eisstö­cke ab­ge­schos­sen haben, ist die erste Par­tie be­en­digt, wel­che sechs zählt. Nun be­ginnt die nächs­te Par­tie, indem der ge­win­nen­de Maier wie­der den ers­ten Schuß nach dem Hasel ver­sucht, ihm folgt der in der ers­ten Par­tie be­sieg­te Geg­ner wel­cher ihn wie­der vom Ziele weg­zu­schie­ßen strebt und dabei von sei­nen Ge­hül­fen un­ter­stützt wird. Sind alle Eisstö­cke ab­ge­schos­sen, so wird die Ent­fer­nung der bei­den Maier vom Hasel ge­mes­sen und der dem Ziele zu­nächst ste­hen­de hat drei ge­won­nen. Eben so geht es bei der drit­ten Par­tie, wel­che wie­der drei zählt. So­bald eine Par­tie zwölf zählt, ist das Spiel ge­en­det. Fin­den sich die Theil­neh­mer ge­neigt, ein neues Spiel zu be­gin­nen, so wird von Neuem zur Wahl eines Mai­ers ge­schrit­ten; dabei hat der Sie­ger im vo­ri­gen Spie­le den Vor­zug und macht den An­fang, wäh­rend der im letz­ten Spie­le be­sieg­te Maier war­ten, muß bis alle Schüt­zen ihre Eisstö­cke ab­ge­schos­sen haben. Der Nächs­te am Hasel wird wie­der Eng­mai­er, der Wei­tes­te davon Weit­mai­er usw. Der Spiel­preis be­steht ge­wöhn­lich in Nüs­sen oder an­dern klei­nen Ge­gen­stän­den. Die be­son­dern Re­geln des Spie­les sind fol­gen­de:

1) Jeder Maier kann sei­nen Ge­hül­fen vor­schrei­ben, wie und wohin sie ihre Schüs­se rich­ten sol­len, und ihm selbst sind je­des­mal zwei Schüs­se vor­be­hal­ten; macht er aber von die­sem Rech­te Ge­brauch, so muß er dafür im Falle er mit fei­nen Ge­nos­sen ver­liert, an den Sie­ger den dop­pel­ten Spiel­preis be­zah­len.

2) Zählt die eine Par­tie schon zwölf, die an­de­re da­ge­gen noch gar nichts, d.h. hat jene schon alle drei Par­ti­en, diese aber noch gar keine ge­won­nen, so heißt man dies „schnei­dern. Hat da­ge­gen die eine Par­tie schon neun ge­zählt wäh­rend die an­de­re noch gar keine Par­tie ge­won­nen hat, und ver­mag sich diese dem un­ge­ach­tet auf zwölf em­por­zu­schwin­gen, so ist die be­sieg­te Par­tei zu­rück­ge­schnei­dert oder ge­ren­elt und muß dafür daß sie den er­run­ge­nen Vort­heil so schlecht zu be­nüt­zen wuss­te den dop­pel­ten Spiel­preis zah­len.

3) Sind am Ende einer Par­tie die Eisstö­cke der bei­den Maier so gleich vom Ziele ent­fernt, daß man selbst bei ge­nau­er Mes­sung kei­nen Un­ter­schied fin­det, so wird Kehr ge­macht und die Par­tie von Neuem be­gon­nen,

4) Sind die Spie­len­den in un­ge­ra­der An­zahl ver­sam­melt, z. B. fünf, sie­ben usw., so er­hält der Weit­mai­er, wel­cher oh­ne­dies der schwä­che­re Schüt­ze ist, und mit jenen Ge­hül­fen vor­lieb neh­men muß, die ihm der Eng­mai­er übrig ge­las­sen, den über­zäh­li­gen Ge­nos­sen zu sei­ner Par­tie.

Die­ses Spiel ge­währt eine ge­sun­de und an­ge­neh­me Be­we­gung im Frei­en, es übt den Kör­per, die Hand, das Auge. Mit frisch­ge­rö­te­ten Wan­gen wer­den die Schüt­zen vom Eise heim­keh­ren und beim Ves­per­brod dem da­heim­ge­blie­be­nen Schwes­ter­chen die voll­brach­ten Taten er­zäh­len; es wird eine der an­ge­nehms­ten Win­ter­be­lus­ti­gun­gen sein; – aber der böse Dämon des Zan­kes, der Ge­winn und Ehr­sucht, muß davon ferne blei­ben; jeder soll trach­ten, seine ei­ge­ne Ge­schick­lich­keit zu zei­gen, aber auch sei­nen Ge­nos­sen Bil­lig­keit und An­er­ken­nung wi­der­fah­ren las­sen. Hand in Hand geht’s sich am bes­ten, im Spie­le wie im Leben.