Das Pinzgauer Prä-Eisschießen
Eine Studie aus dem Volksleben von Richard von Strele 1 in Salzburg.
Das Eisschiessen wird also in diesem bayrischen Spiele in den Vordergrund ländlicher Wintervergnügungen gestellt. Und mit vollem Rechte. Sehen wir uns das Spiel, das so ziemlich auf den heimatlichen Boden des bajuwarischen Volksstammes eingeschränkt ist, etwas näher an.
Das Instrument, das Werkzeug, die Waffe des Eisschützen ist der Eisstock. Derselbe gleicht in mancher Beziehung einem Siegelstocke mit sehr großer Siegelfläche und unverhältnismäßig kurzem Stiele, einem Petschier, wie wir solche bei kleinen Handwerkern, Bauern etc. antreffen; der Eisstock ist ein Holzteller von 20 bis 50 cm Durchmesser; die Bodenfläche ist geglättet.
Aus der Mitte ragt ein Handgriff „Zapf“ genannt, der ebenfalls an dem einen Orte lang und gerade, an dem andern kürzer und wenig gekrümmt verlangt wird. Der Eisstock ist mit einem starken Eisenreifen umgeben. Eiche und Ahorn liefern das beste Holz zu den Eisstöcken.
Jeder Schütze besitzt seine eigene Waffe, mancher sogar deren mehrere, schwere und leichte, flache und am Rande etwas aufgebogene, Stöcke zum werfen und zum Schiessen, Stöcke für harten und weichen Boden. Spielplatz ist entweder die Eisfläche eines Sees oder Teiches, oder eine gewalzte Schneefläche oder endlich die Strasse des Dorfes, letzteres namentlich in den Gebirgsgegenden Salzburgs, so auch im schönen Zell am See, wo heuer am ersten Montag in den Fasten (am 7. März 1892) in der Seegasse das größte aller bisher abgehaltenen Eisschiessen stattfand.
Die anwesenden Schützen teilen sich in zwei Parteien, entweder durch Regeln, wie sie von den verschiedenen Kegelspielen her bekannt sind, oder aber durch „Zusammenschiessen.“ Letzteres geschieht auf folgende Weise.
Auf der für den Wettkampf bestimmten Bahn wird in einer Entfernung von 30 oder mehr Schritten vom Schützen aus das Zielobjekt aufgelegt, nach welchem geschossen werden soll. Dies ist entweder ein Stein, ein Holzwürfel oder am häufigsten eine Kugel, und heißt „Taube“, „Hasl“, „Katzl“ etc. Jeder Schütze schwingt nun seinen Stock und wirft ihn derart auf die Eisbahn, dass er auf seiner breiten Bodenfläche vorwärts gleitet. Wessen Stock zuerst am nächsten beim „Hasl“ liegt, der wird Kommandant der einen Partei und heißt der „Engmoar“, der nächste daran wird Kommandant der zweiten Partei und heißt der „Weitmoar“.
Jeder Moar oder Maier (major) hat zwei Schüsse, auch Schübe genannt, von denen er einen als den letzten seiner Leute abgeben muss. Der schlechtere von beiden bestimmt nun einen seiner Genossen zum Schusse und bleibt der Schub so lange bei einer Partei, bis diese im Vortheile ist; dann kommen wieder die andern dran und so fort, bis alle Stöcke einer Gruppe verschossen sind. Gewonnen hat jene Partei, welche einen ihrer Stöcke am nächsten beim Hasl hat. Ein solcher Gang heißt „Kehr“, wer zuerst zwei „Kehren“ macht, nennt den Einsatz oder das ausgesetzte Beste sein. An vielen Orten werden auch mehr Kehren gemacht.
Stelzhammer 2 beschreibt in seinem „Soldatenvöda“ das dem Eisschiessen verwandte „Platteln“ und ich kann mir nicht versagen, aus diesem prächtigen Gedichte einige charakteristische, auch für das Eisschiessen geltende Zeilen zu zitieren:
I und du und dö Buam von Sunnbau’n und von Lippelwastel Harn da Plötten gworfen,
z’erst um Bahnen (Bohnen), aft heher Um a raoths Air,
z’erst um z’schmacktö, z’schmedadö, endling um ganzö.
I und da Sunnbauanhies han banand gwön.
E hat’n Weitmair Ghabt, du’n Engmair – da Sepp von Lippelwastel dein Helfa.
Du hast a Stichplatten ghabt, mir andern rutschädö Plattel.
„Sechse Sechse“ is ’s worn und „Neune Neune“, aft „Geldaus“.
Das Spiel wird in Dorf und Stadt mit Leidenschaft gespielt und richtige Eisschützen lassen sich durch kein Wetter, durch keinen Weg, durch „gar nix a nit“ von diesem Wintersporte abhalten.
Schon die Schulbuben haben ihre Eisstöcke und verkürzen sich den Weg zu wie von der Schule mit Eisschiessen. Hoch und Nieder nimmt an dieser gesunden Uebung Teil, und wie in Tirol der Ortspfarrer selten beim Scheibenschiessen fehlt, so sieht man in Bayern, Salzburg und Tirol die Geistlichen als Matadoren auf der Eisbahn „arbeiten“.
Dechant Purschka 3, dem wir die herrlichen Bilder aus dem oberösterreichischen Volksleben verdanken, hat auch ein Gedicht geschrieben pro domo: „Die freie Zeit des Dorfpfarrers zum Dichten“. In demselben schildert er, wie häufig er bei seinen poetischen Arbeiten durch allerlei Leute gestört wird:
Jetz her i da draußen schan wieder wem gehn.
Und „Herein!“ so schrei i iatz, was i öbn mag,
„0 guatschensta Diena! Und recht guaten Tag!
Das freut mich, dass So mir die Ehr amal göbn!“
A Kaufherr von Dorf, a guats Pfarrkind danöbn.
Der ladet mi ganz freundli: „Es gf’reuatn recht.
Wann i drunt beim Wirth mit eahm Eisschiassen mecht.
Ja da geh‘ i glei mit, wenn oana a geht“.
Selbst der Teufel soll an manchen Orten mitgeschossen haben, steht in verschiedenen Sagen zu lesen. Sehr häufig tritt aber das Eisschiessen aus dem Rahmen eines Gesellschaftsspieles heraus, es wird zum Wettkampfe zwischen den Burschen verschiedener Dörfer, Bezirke, ja ganzer Gaue. Es wird um das „Prä“, um den Vorrang geschossen, und während die triumphierenden Sieger den oft sehr hoben Preis – Widder, Kalbinnen, Kühe, Pferde – im Triumph mit heimführen, regnet es auf die Unterliegenden Spöttereien in schwerer Menge und manchmal findet der friedliche Wettkampf sogar blutige Nachspiele. Dies Spotten und Raufen findet meistens dann statt, wenn die eine Partei „geschneidert“ wird, das heißt die erste und zweite „Kehr“ verliert.
Vor Kurzem erst rangen Pinzgau und Pongau mit einander in Lend, bei welcher Gelegenheit es bald deutsche Hiebe gegeben hätte. Im Januar 1889 schossen die Buben Brambergs gegen die Männer dieses Ortes. In Zell am See schossen einmal die Frauen gegen die Jungfrauen des Marktes. Am 23. Februar 1889 schossen zu Niedernsill die Niedernsiller, Uttendorfer, Stuhlfeldner und Mittersiller gegen die Piesendorfer, Kapruner, Brucker und Zeller, welche schließlich als Schneider heimkehren mussten. Häufig schon kämpften die St. Johanner mit den Grossariern. Ein Schiessen von bisher unbekannter Betheiligung fand im März 1890 auf dem Goldegger See statt.
Aber dieses Monsterschiessen wurde noch übertrumpft durch das bereits erwähnte heurige Schiessen in Zell am See, wo 200 Schützen aus dem Ober-, Unter- und Mittelpinzgau teils zu Schlitten, teils per Bahn zusammenkamen, mit ihnen viele Hunderte von Neugierigen aus Nah und Fern. Die ankommenden Schützen wurden mit Musik empfangen und zum Gasthof des Metzgers Schweiger geführt, von wo aus sich um ½ 11 Uhr vormittags der Festzug nach dem in der Seegasse befindlichen Kampfplatze bewegte.
Im Festzuge wurde, der Hengst Goliath, ein prächtiges, mehrmals mit ersten Preisen ausgezeichnetes Pinzgauer Zuchtpferd mitgeführt; er war als Preis für den Sieger im Praeschiessen bestimmt.
Moar der Oberpinzgauer war der Postmeister Schett von Mittersill; als Moar der Gäste, als Weitmoar hatte er den ersten Schuss. Sein Herrschaftszeichen war ein rothes Hähnlein, rothe Kokarden schmückten seine Leute, die „Zapfen“ seiner Stöcke waren mit dem rothen Bande der Ehrenlegion dekorirt. Als „Hängauf“, als Adjutanten oder Helfer standen ihm zur Seite der Bartlmä Kirchner von Bramberg und der Thomas Steger aus Uttendorf; weitberühmte Eisstockkapazitäten. Moar der Zeller war Bezirksingenieur Gassner 4, ein Sohn des Gaues, sein Rangabzeichen war die weiße Fahne, weiße Kokarden schmückten die Joppen seiner Leute, weiße Bänder ihre Eisstöcke. Als Hängaufs standen ihm zur Seite der Landtagsabgeordnete Mayr (Lukashansl) und der Gerlingerwirthssohn Dick aus Saalfelden.
Gassner, der der Poschacher-Bräuin zum Trutz noch Hagestolz und Eischampion ist, hatte als Engmoar den zweiten Schuss. Die Länge der Bahn betrug hundert Meter. Ein Kampfgericht für strittige Fälle war aus Männern beider Gruppen zusammengesetzt, welche den Bezirksrichter Eltz zum Obmann erkoren. Es trat nicht in Aktion, denn das ganze Arrangement war ein so vorzügliches, dass bei dem ganzen Schiessen, das von 11 Uhr bis gegen 8 Uhr dauerte, keine Misshelligkeit vorkam.
Die beiden ersten Schüsse waren an dem Hasl vorübergeflogen, desgleichen mehrere der folgenden, bis endlich ein Stock traf und das „Hasl“ gegen die Wand der rechtsstehenden Tribüne schleuderte. A Maass brauch mer!“ schreit jetzt der Moar seinen Leuten zu. A Maass, a Maassl ist ein dem „Hasl“ recht nahe gelegter Stock. Das Maassl wird gemacht. Jetzt war für die Gegenpartei die Nothwendigkeit da, entweder ein schöneres Maassl zuzulegen, oder durch einen recht „lauten“, starken Schuss den Stock des Gegners wegzuschleudern; auch das gelingt. „Laute“ Scheiber müssen auch her, um die Barrikade von Stöcken vor dem Hasl auseinander zu drängen, zu sprengen. Die Hängaufs markiren mit Hüten, Sacktüchern die Richtung, welche der Stock zu nehmen hat. Die Aufregung wächst. In dieser Aufregung wirft ein sonst guter Schütze seinen Stock so schlecht auf, dass er „loabelt“, in watschelnder Bewegung fernab dem Ziele verloren geht. Oft kippt ein solcher Stock auch um und bleibt mit nach oben gerichtetem Teller mitten in der Schussrichtung liegen, zum großen Ärger seiner Partei, denn „Aufgezapft wird nicht“, sagt Punkt 12 der Satzungen.
Die erste Kehr gewannen die Oberpinzgauer, die zweite die Zeller, daher musste noch eine Dritte Kehr gemacht werden. Da in diesem wieder die rothe Fahne über die weiße siegte, so wurde Goliath den Ober-Pinzgauern zugesprochen. Jene Schützen, welche den für das Gewinnen einer Kehr ausschlaggebenden Schuss gemacht, erhielten überdies einen güldenen Dukaten mit Zierde.
Nach dem Praeschiessen kam das „Scharf- oder Gradschiessen“, bei welchem jener Schütze im Vortheil ist, der einen scharfen geraden Schuss hat. 52 m vom „Stehmatz“, d.h. von der in den Boden eingetriebenen Kerbe, in welche der Schiessende seinen Fuß einsetzte, wurden 3 Kugeln in senkrechter Richtung zum Schützen in Abständen von je zwei Metern. Alle drei Kugeln trafen mit einem Schuss nur der Bramberger Franz Prosegger und der Stuhlfeldner Josef Fritz; zwei Kugeln trafen mehrere; darunter am besten Empl aus Stuhlfelden. Ihnen wurden die Preise von 3, 2 und 1 Dukaten zu Theil.
Da die über 100 Meter lange Bahn für das nun daran kommende Weitschiessen viel zu kurz war, wurde sie mit Asche und Sägespänen bestreut; dennoch erreichte der Saladerer Sepp von Piesendorf 80 Meter. Nun wanderte man aus der Seegasse aus. Auf einer Wiese hinter dem Hotel Bodingbauer sollte das „Weitwerfen“ stattfinden, ein Spiel, das dem Curling der Schotten am meisten gleichkommt. Einen acht Kilo schweren Eisstock warf der Bäckertoni von Zell 21 ½ Meter weit. Dabei musste der geworfene Stock so auffallen, dass er weitergleiten konnte. Beim Werfen mit dem leichten Stocke (Mindestgewicht ½ Kilo,) warf der Botensepp aus Bruck 52,15 Meter, der Saladerer Sepp aus Piesendorf 46,80 Meter und Lukashansl aus Bruck 5 46,40 Meter weit, – ganz vorzügliche Leistungen. Die Gewinner erhielten Dukatenpreise.
In der Turnhalle, welche festlich geschmückt war, wurde nach einer trefflichen Ansprache des Bürgermeisters Dr. Müller die Preisvertheilung vorgenommen, bei der es ungeheuer lebhaft und lustig herging. Den Ehrendank erhielt mit Recht Ingenieur Gassner, genannt Dr. Eisstock. Ihm war das Fest in erster Linie zu verdanken, ihm und seinen Helfern ist der schöne Erfolg und der ungetrübte Verlauf des prächtigen Wettkampfes der Mannen eines Gaues zuzuschreiben. Dass Tausende von Neugierigen auf den Tribünen und von den Fenstern aus zuschauten, lässt sich denken; auch die Schneeschwarten der Dächer waren mit Menschen bedeckt. Herrlich, wenn auch etwas kalt, war das Wetter.
Wie schön Zell am See und seine Berge in der Wintersonne strahlten, das zu beschreiben, wäre nicht nur schwer, sondern auch überflüssig, es hieße Wasser in den Zeller See tragen. Die herrliche Volksstaffage aber machte das Bild zu einem unübertrefflichen. Nächstes Jahr soll in Mittersill ein Revanche-Schiessen gegeben werden. Wie singt doch der Dichter Luber?
Wos soll i denn führn gög’n Wintar a Klag,
Er vofrert ma ja d’Bach Dari Eisschoissen mag.
– Juche!
- Richard Strele von Bärwangen, geb. 10.01.1849, gest. 14.03.1919 in Salzburg, österreichischer Bibliothekar und Schriftsteller ↩
- Franz Stelzhammer, geb. 29.12.1802, geb. 18.07.1874. Oberösterreichischer Dichter und Novelist: Lieder in oberenn’scher Mundart und „da Soldatenvöda“ (Der Soldatenvetter, 1843). Auch Textdichter der oberösterreichischen Landeshymne. ↩
- Norbert Purschka, geb. 06.06.1813 in Linz, gest. 18.07.1889 in Waldneukirchen. Oberösterreichischer Seelsorger und Schriftsteller. 1843 – 73 Pfarrer in Grünburg, seit 1863 Dechant (Dekan, Vorsteher einer Gemeinschaft von Priestern), ab 1873 Pfarrer in Waldneukirchen. ↩
- Nikolaus Gassner, geb. 1853 in Saalfelden, gest. 28.12.1812 in München. Neuwirtssohn aus Saalfelden, wurde 1891 zum kaiserlich-königlichen Bezirksbau-Ingenieur bestellt, Fremdenverkehrspionier im Pinzgau. ↩
- Der Gastwirt und Hotelier Johann Mayr. Er erbaute 1874 den Gasthof „Lukashansl“, heute Hotelkomplex an der Glocknerstraße. ↩