1895 Ein süddeutsches Wintervergnügen

Eisschießen. Ein süddeutsches Wintervergnügen.

Im bayerischen Hochgebirge ist dieser Sport allgemein beliebt, und wenn in der Nähe der einsamen Gebirgsdörfer die Seen zufrieren, dann schnallt der Hochlandsbauer nicht den Schlittschuh an, den er nicht kennt oder doch nicht zu gebrauchen weiß, sondern er nimmt seinen Eisstock zur Hand. Vom Gebirge kam dieser Sport allmählich in die Ebene, und wenn im Englischen Garten zu zu München der Teich gefroren ist, so sieht man alltäglich Hunderte von Leuten, die mit regtem Eifer ihre Eisstöcke über die glatte Fläche gleiten lassen. Offiziere und Studenten, Leute aller Stände beteiligen sich an den Spielen. Ein einfacheres und billigeres Vergnügen gibt es nicht. Die notwendige Eisfläche hat genau die Größe einer Kegelbahn, und die Apparate bestehen lediglich aus einem kleinen Holzpflock und so vielen Eisstöcken, wie das Spiel Teilnehmer findet. Diese Eisstöcke sind kreisrunde, zweifingerdicke Holzscheiben, von dem Umfange eines großen Tellers. Sie sind mit einem Eisenringe beschlagen und mit einem einfachen Griffe versehen. Setzt man nun eine solche Eischeibe (oder wie sie genannt werden: Eisstock) auf das glattgefegte Eis, so gleitet sie bei einem mäßigen Schwunge rasch über die Fläche. Das Spiel wird folgendermaßen ausgeführt: Die Spieler teilen sich in zwei Parteien und stellen sich am einen Ende der Bahn auf. Am anderen Ende befindet sich, frei auf das Eis gelegt, der kleine Holzpflock (in Bayern die „Taube“ genannt), und diejenige Partei … mit einem ihrer Eisstöcke der Taube am nächsten kommt. Nach kurzer Übung ist es nicht schwer, den Schwung so zu bemessen, daß der Eisstock bis dicht an die Taube herangleitet, nun aber folgt ein Spieler von der Gegenpartei, der jetzt mit einem Eisstocke den ersten so zu treffen sucht, daß dieser von der Taube fort geschleudert wird. Hierauf folgt wieder ein Spieler von der ersten Partei und so abwechselnd, bis jeder seine Eischeibe über die Bahn geschickt hat. Natürlich ist die Partei, welche den letzten Wurf hat, etwas im Vorteil, als Entgelt dafür muß die siegreiche Partei das nächste Spiel eröffnen. Sobald die letzte Eischeibe abgeschleudert ist, laufen alle Spieler an das andere Ende der Bahn, um das Endresultat festzustellen. Und dann geht das Spiel sofort von neuem los. Alle zwei bis drei Minuten ist eine Partie zu Ende, und man kommt durch das Werfen und Hin- und Herlaufen so sehr in Bewegung, daß die meisten Spieler auch bei starkem Frost sich ihrer Mäntel entledigen.

Damit die Eisstöcke nicht über die eigentliche Bahn fortrutschen, ist diese rings von den zusammengefegten Schneehaufen umgeben, und die kleinen Schneebarrieren wirken wie Billardbanden, so daß ihre richtige Verwendung von großem Vorteile ist. Auf einem mäßig großen Teiche lassen sich viele Dutzende solcher Bahnen herstellen, da eine neben der anderen liegt und jede einzelne, wie gesagt, nur den Flächenraum einer Kegelbahn beansprucht. Wie ökonomisch eine Eisfläche sich dazu verwenden läßt, er sieht man aus folgender Skizze: Ein Dutzend solcher Bahnen ist mit der Schneeschaufel und dem Besen in kurzer Zeit hergestellt.

Die Eisstöcke, die, wie gesagt, nur aus einer Holzscheibe mit einem Eisenreife bestehen (der letztere, damit die Scheiben nicht zersplittern) sind natürlich nichts weniger als teuer. Im Hochgebirge hat jeder Bauernbursche seinen eigenen Eisstock, in München aber wird es meist so gehalten, daß der Besitzer der Eisbahn die Eisstöcke für zehn oder zwanzig Pfennige nachmittags verpachtet und dafür die Bahn unentgeltlich hergibt.