Eisschiessen im bayerischen Hochgebirge
Wir haben in diesen Blättern schon mehrfach von dem kräftigen Menschenschlag gesprochen, welcher den gebirgigen Theil von Oberbayern bewohnt und in seinem ganzen Wesen die überschäumende körperliche Kraftfülle und Derbheit und ungewöhnliche Körperstärke des Alpensohnes aufweist. Die Fülle von Thatkraft und Körperkraft gibt sich auch in allen Vergnügungen des bayrischen Alpenbewohners kund; ihm gewährt nichts Vergnügen, was nicht zugleich Anstrengung, Muskelkraft, Ausdauer, Kühnheit und Leidenschaft erfordert. Zeuge davon sind die beliebtesten Tänze des oberbayrischen Landvolks, namentlich der malerische, aber sehr anstrengende sogenannte Schuhplattl-Tanz, welche das Liebeswerben des Spielhahns um die Birkhenne nachahmt, das Kegelschieben und dessen winterlicher Ersatz:
Das Eisschieben oder Kreiselscheuben– ↑ –
Das Kegelschieben ist eines der bevorzugtesten Volksspiele, und namentlich darum so beliebt, weil es neben der Geschicklichkeit auch Kraftäußerung erfordert, mit der schweren wuchtigen Kugel die Kegel am Ende der langen Bahn zu treffen. Aber die Kegelbahnen sind meist im Freien und oft ohne jedes Dach, daher im Winter, besonders wenn Schnee gefallen ist, nicht zu benutzen. Da ist denn als Ersatz für das Kegelspiel während der Winterszeit allmählig das Eisschieben in Aufnahme gekommen, welches unser Bild auf Seite 84 veranschaulicht.– ↑ –
Es gilt dabei, auf einer glatten Eisbahn von 30 bis 40 Fuß Länge eine schwere, mit einem Eisenring umgebene und mit einem gekrümmten Handgriff versehene Kegelscheibe von der ungefähren Form der Klüpfel unserer Steinmetzen aus freier Hand so hinausgleiten zu lassen, daß sie wo möglich einen kleinen, am Ende der Bahn eingerammten Holzpflock berührt, um welchen herum die Geldeinsätze der Spieler gelegt werden. Der Klüpfel oder Kreisel (Scheube) ist vom schwersten und härtesten Holz und wiegt 20 bis 24 Pfund. Es gehört daher unendlich mehr Kraft und Uebung dazu, ihn auf dem Eise so in Bewegung zu setzten, daß er, beständig rotirend und vorwärts gleitend, die lange Bahn durchmisst und die gegebene oder gewünschte Richtung einhält. Wenn daher an winterlichen Sonn- und Feiertagen die Männer und Burschen zum Eisschieben zusammenkommen, so wird erst manche Scheube umsonst geworfen, ehe ein Glücklicher den Pflock trifft und den Einsatz einstreichen darf, und trotzdem, daß bei der strengen Kälte manche der Spieler in Hemdärmeln dastehen, trieft ihnen ob der gewaltigen Anstrengung bei diesem Spiel doch der Schweiß von Stirn und Wange.
Hat keine der geworfenen Scheuben eines Spiels den Pflock berührt, so versucht jeder Spieler seine Scheube mit dem Fuß nach dem Pflock zu stoßen, und wer auf diese Art den Pflock trifft, erhält einen Theil des Einsatzes. Zugleich werden immer Wetten unter den Spielenden und Zuschauern auf die einzelnen Würfe eingegangen, und man macht sich gegenseitig recht warm, bevor man ins Wirthshaus geht und sich nach gethaner „Arbeit“ an einem tüchtigen Trunk vom „Braunen“ labt, das nun doppelt gut mundet.
dazu abgedruckt: → Holzstich nach einer Originalzeichnung von Alois Greil