Eisschießen im bayerischen Hochgebirge
Die Touristen lernen Land und Leute nur im Sommergewande kennen; aber droben im Gebirge breitet auch der Winter einen Zauber über Alles, was uns im Sommer in so herrlicher Frische entgegengelacht. Das Wort Leichentuch das im Munde der Leute mit dem Winter unzertrennlich verbunden, ist ein häßliches Wort, eine große Unwahrheit, und wer es gebraucht, hat den Reiz einer Schneelandschaft nie gekannt.– ↑ –
Auf den Alpen freilich lernte ich erst den ganzen Zauber einer im blitzenden Schneemantel leuchtenden Natur kennen, und ich zähle die Tage, die ich auf den einsamen Höfen bei den gastlichen Leuten des bayrischen Hochlandes im Winter zugebracht, nicht minder, als die sommerlichen Willegiaturen an den schönen Seen. Doch lasse mich der Leser heute eine der Winterbelustigungen vorführen, die mir ganz besonders großen Spaß machte, da ich sie auf meinen amerikanischen Wanderungen in Kanada beinahe bis auf’s Haar ähnlich im Brauche gefunden, hier freilich nicht nur unter dem Volke, sondern selbst bei der höchsten Aristokratie.– ↑ –
Der Bauer im bayrischen Hochgebirge hat nicht überall seine geheizte Kegelbahn, und er ist auch nicht so erfroren wie unsere Städter, und so sucht er sich ein Spiel, das ihm Spiel und Leibesübung zu gleicher Zeit ist. Auf abgesteckter Bahn stand ein kleiner Pflock, auf den das Einsatzgeld gelegt wurde: nun galt es, mit schweren eichernen Kreiseln in der Art unserer Steinmetzhämmer (die vom härtesten Holz und mit eisernem Reif umgeben sind und oft 20 – 24 Pfund wiegen) darnach zu schießen.– ↑ –
Der kräftig gebaute Bauer mit dem strammen Fußgestelle holte, den Kreisel an dem krummen Griffe haltend, weit aus und schleuderte ihn so geschickt auf das Eis, daß er in gerader Linie, sich um sich selbst drehend, pfeilschnell davonflog. Aber trotz der Kraft und Geschicklichkeit trifft der Kreisel doch selten den Pflock, der sehr klein ist, und nur selten ertönt das laute, unnachahmlich Juchzen, das den Sieger begrüßt, dem der Einsatz zufällt. Gewöhnlich steht eine beträchtliche Schaar müßiger Kreisel um den Pflock, ehe einer getroffen.– ↑ –
Hat aber keiner getroffen, so beginnt das Spiel in kleinerem Maßstab. Man stellt sich um die Kreisel und stößt sie mit dem Fuß an, und wer trifft, erhält einen Theil des Einsatzes. Bei diesem Kraftspiel kommt natürlich das Gefühl der Kälte nicht auf; es ist im Gegentheil gar komisch anzusehen, wie den Burschen miten im Winter der Schweiß von der Stirne rieselt, während sie in Hemdärmeln dastehen. Und wie schmeckt dann das Bier im Wirtshaus, wo man sich nach wohl vollbrachter Arbeit versammelt!
Originaltext von A. Puschkin
dazu abgedruckt: → Holzstich nach einer Originalzeichnung von Alois Greil