Winterliche Belustigungen
… Eine nicht selten in Tirol, Kärnten und Steiermark geübte Winterbelustigung der Dorfburschen und Männer ist das Eisschießen. Die Eisbahn ist entweder ein gefrorener Teich oder der beeiste Teil des Flußbettes, häufig auch nur der gefrorene ebene Boden.
Das Spiel gleicht in Tirol fast ganz dem sogenannten „Watschelen“, dem von den Italienern entlehnten Kugelspiel „giuocar alle boccie“, nur daß statt der Kugeln die ‚Eisstöcke‘ eintreten. Diese sind schwere, aus festem Eichen- oder Buchenholz gedrehte und mit einem starken Eisenreif umspannte Scheiben im Durchmesser von beiläufig 30 cm, in die oben senkrecht ein Stiel als Handhabe eingesetzt ist. So ein Eisstock wiegt oft seine fünf bis sieben Kilogramm. Um sein Gewicht beliebig zu vergrößern, hat man sogenannte ‚Platten‘, runde, in der Mitte durchlöcherte Eisenscheiben, die man über den Stiel schiebt. Es sind dieselben, deren man sich im Sommer beim beliebten ‚Plattenwerfen‘ bedient.
Das Schußziel bildet ein viereckiges Holzpflöckchen, die sogenannte ‚Tauben‘, in Tirol ‚Moasl‘ genannt, meistens aber zwei „Tauben“, von denen die eine am unteren, die andere am oberen Ende der etwa fünf bis sechs Meter langen Eisbahn aufgestellt ist, um das Hin- und Herschießen zu ermöglichen.
Beim Spiel erfaßt nun der Bursche seinen Eisstock, schwingt ihn zielend und läßt ihn dann auf der glatten Bahn weitergleiten. Da man das Eisschießen stets zu zwei Partien spielt, so schaut man zuerst, wer ‚zusammenkommt‘. Die nach dem ersten Schuss dem Ziele näher liegenden Eisstöcke, beziehungsweise deren Besitzer, bilden die eine Partie, die ‚Engeren‘, die ferner liegenden die andere, die ‚Weiteren‘. Das Spiel selbst besteht im Allgemeinen darin, daß jede Partei trachtet, mit ihren Eisstöcken der ‚Tauben‘ möglichst nahe zu kommen. Hierbei handelt es sich vor allem, daß der ‚Anspielende‘ gut ‚legt‘ oder ‚vorlegt‘, d. h. mit seinem Eisstocke vor das Ziel zu liegen kommt, um den Scheiben der Gegner den Weg zu verlegen. Der Letzteren Aufgabe ist es, dieses Hemmnis entweder zu umgehen oder dasselbe wegzuschießen. Oft wird durch den Schuß des letzten Eisschießers die ‚Tauben‘ weit hinausgeschleudert und so mit einemmal die Lage der verlierenden Partei in die der gewinnenden verwandelt.
Ein Spiel dauert so lange, bis eine Partei drei Gänge gewonnen hat. Gelingt ihr dies, hintereinander ohne Unterbrechung, so ist die Gegenpartei ‚geschneidert; hat sie jedoch erst einen gewonnen, und es gelingt den Gegnern nun, dreimal nacheinander zu siegen, so ist die erstere nachhig’schneidert. Der Einsatz ist verschieden, gewöhnlich nur ein Kreuzer (zwei Heller).
Im Unterinntal und Brixental findet oft eine verwickeltere Form dieses Spieles statt, indem nämlich eine Ortschaft die andere zum Wettkampfe herausfordert. Man nennt dies das Moaren. Solche Wettschießen gestalten sich oft förmlich zu kleinen Volksfesten, bei denen Jung und Alt als Zuschauer die Eisbahn belagert.
- Dr. Ludwig von Hörmann, bedeutender Kunsthistoriker, geb. 12.10.1837 in Feldkirch, gest. 14.02.1924 in Innsbruck ↩