Streit um den königskegel

Der Streit um den Königskegel

Ein junger Grieche von der Als, der einzige Sohn einer achtbaren Ratsfamilie Wiens, der am Hofe Leopolds des Tugendhaften Knappendienste verrichtete, war von sämtlichen Basen 1 und Muhmen 2 umringt, die ausführlich von ihm erfahren wollten, wie er beim Königsspiele habe verwundet werden können.

Die Sache verhielt sich also:

König Richard, im Glück übermüthig, im Unglück zaghaft, war froh, nach Philipp August’s und der deutschen Fürsten Abzug, statt Jerusalem zu erobern, mit Selah-Eddin (Saladin) einen dreijährigen Waffenstillstand abschließen zu können. Er bestieg am 9. Oktober 1192 eine leichte Pinasse 3, um nach Marseille zu segeln; da er aber durch einen Kauffahrer in Erfahrung brachte, daß Philipp August in offener Fehde gegen ihn auftrat, daß er, wegen seiner Verständnisse mit dem sicilianischen Tankred, und Heinrich dem Löwen, als Reichsfeind erklärt wurde, so steuerte er dem launenhaften adriatischen Meere zu.

Da er in der Kleidung eines Templers den byzantinischen Boden betrat, von dem Neffen des von ihm angeblich ermordeten Markgrafen von Tyrus aber gefangen genommen zu werden befürchtete; so richtete er mit Hilfe eines gemieteten Korsaren seinen Lauf nach Ragusa (heute Dobrovnik) und Zara (heute Zadar), um dort vorsichtig an das Land zu steigen; denn Barbarossa’s Nachfolger, Heinrich VI., hatte bereits an alle deutschen Fürsten den Befehl ergeben lassen, ihm den Brittenkönig gefänglich zu überliefern. Der Löwe Richard hatte ihn zu sehr gereizt, und die deutschen Fürsten zu sehr beleidigt, um irgendeine freundschaftliche Aufnahme gewärtigen zu können. Er trennte sich daher von seinem Kaplane Anselmus und von seinem Freunde Blondel, und wählte die Kleidung eines Kaufmannes; wurde aber, dieser Rolle nicht mächtig, zwischen Ravenna und Aquileja von Roger von Argenteau erkannt; doch statt ihn gefangen zu nehmen, entließ er ihn mit einem trefflichen Renner und einem Knaben, der des Weges und der Sprache kundig war. Beide, auf einem Pferde sitzend, zogen mehrere Tage, Hunger und Durst leidend durch unwegsame Gegenden, und kamen glücklich aus dem Gebiete des Grafen Meinhard von Görz, der alles Mögliche aufbot, den verhassten Feind des Kaisers in strenge Haft zu bringen.

Nicht so glücklich waren acht Personen seines Gefolges, das in kleinen Abteilungen ihm folgte, und samt dem Kaplan in des Grafen Gefangenschaft kam. Zu Friesach in Kärnten lauerte der Vizedom des Erzbischofs von Salzburg auf ihn, und bekam ebenfalls sechs Personen, in seine Gewalt. Richard, der früher einer Welt Trotz bot, erreichte zerlumpt, vom Hunger und den Beschwerden des Weges entkräftet, glücklich die Grenzen Österreichs, wo er zu seiner Verwunderung keinen Späher fand; doch erinnerte er sich der Drohung Leopold’s, ja nicht der Wohnung des Adlers zu nahen. Er verwünschte, diesen Fürsten so bitter gekränkt, seinen Oheim in silberne Ketten geschlagen, und die Königstochter zur Dienerin herabgewürdiget zu haben.

Es war den 4. Dezember 1192, als Richard, die Türme Wiens im Angesichte, sich nach der sogenannten Hirschpeunt, einem herzoglichen Rüdenhause in der Gegend der heutigen Vorstadt Erdberg, verfügte, während sein Diener Wilhelm Stanley, der ihm in der Kleidung eines Jägers von fern folgte, in einem nahen Fischerhaus Unterkunft suchte, und auch fand. Richard suchte ebenfalls der Aufmerksamkeit zu entgehen; denn es waren viele Land und Stadtleute anwesend; auch glaubte er seinen Namen deutlich aussprechen, und jedesmal von einem Gelächter begleitet zu hören. Nach der Erklärung des Knaben waren es die Worte: „Hast Du den König Richard nicht getroffen.“ Die Landleute ergötzten sich nämlich mit Eisschießen, einer Art Kegelspiel auf einer Eisfläche. Der mittlere Kegel, auf den am meisten Jagd gemacht wurde, hieß scherzweise König Richard, und wird noch heut‘ zu Tag in Österreich der Königskegel genannt.

Obwohl die Beschreibung seiner Person allenthalben verbreitet war, und dem Kühnen ein Preis verheißen wurde, der den König zur Haft brächte: so faßte er doch bei dem Anblicke der gutmütigen Miene, welche den Österreichern eigen ist, den Entschluss, in die herzogliche Meierei zu treten, wo er sich sicherer als in einer niederen Hütte wähnte. Da Alt und Jung beim Eisschießen versammelt war, und Herzog Leopold mit Helena, der Herzogin, und dem Prinzen Friedrich eben anwesend, von einem Fenster des Rüdenhauses dem Spiele zusah, und der innere Hofraum wie ausgestorben schien; so trat der Knabe vor die Küchentüre, wo der Meister Koch eben mit Verfertigung des Abendessen beschäftigt war, und bat um ein Obdach und eine warme Suppe für seinen von einem viertägigen Fieber kaum genesenen Vater. Der gutmütige Küchenmeister hieß sie Beide freundlich eintreten, wies dem Kranken eine warme Stelle am Feuerherd an, und vertröstete Beide, sie bald mit einer Suppe bedienen zu können.

Dem treuen William Stanley gelang es inzwischen, obwohl es strenge untersagt war, Fremde ohne Meldung über die Donau zu führen 4, für sich, für einen Kaufmann und seinen Sohn ein Schiff für den nächsten Morgen zu mieten, um so das Richard befreundete Böhmen erreichen zu können. Auch Richard spielte seine Rolle ziemlich gut. Der Meister Koch gab ihm während der Zubereitung der Suppe manchen guten Rath, wie er sich bei einem Rückfalle des Fiebers zu benehmen hätte, und schimpfte wacker auf seinen Küchenjungen, der statt den Braten zu wenden, sich wahrscheinlich auf der Eisbahn befände. Da der Knabe viel zu klein für dieses Geschäft war, so übernahm Richard, dem Meister Koch gefällig zu sein, den Bratenwender. Der Aufseher des Hauses aber, der die fremde Gestalt in der Küche bemerkte, und von der Miete des Schiffes und der wahrscheinlichen Anwesenheit Richards bereits in Kenntnis war, ließ augenblicklich die Küche von der Wache besetzen.

Der junge Grieche von der Als, der des Königs sich bemächtigen wollte, erhielt von diesem eine leichte Wunde; doch da Richard zu entkommen keine Gelegenheit sah, erklärte er, nur dem Herzoge sich ergeben zu wollen, und überreichte das Schwert, als dieser herbeigerufen wurde. Leopold empfing es, den König ehrenvoll begrüßend mit den Worten: „Ich ehre die Vorsicht, und obwohl ich meinem Eide und dem Gebote des Kaisers gehorchen muß, so werde ich doch deshalb die Gastfreundschaft nicht verletzen. Ich ersuche Euch daher, wenn auch gezwungen, mein Gast zu sein, bis es mir gelingt, Euch gegen eine billige Lösesumme mit dem Kaiser zu versöhnen.“ Er befahl den Anwesenden, Stillschweigen zu beobachten; doch konnte er nicht verhindern, daß man der Sage von einem Löwen, der von der Küste Asiens hierher verschlagen, in gefängliche Gewahrsam gebracht wurde, mehr Glauben beimaß, als dem Streite wegen des Königskegels.

 

  1. Base: Tante väterlicherseits (Schwester des Vaters), später auch Tochter einer Tante oder eines Onkels (Cousine)
  2. Muhme: Tante mütterlicherseits (Schwester der Mutter oder Ehefrau des Bruders der Mutter)
  3. Pinasse: größeres Beiboot von Kriegsschiffen, eigentlich: Boot aus Kiefernholz
  4. Erst unter Herzog Albrecht V. von Habsburg (Herzog von Österreich von 1404 – 1438) hatten die Bewohner Erdbergs und an der alten Donau „… das Recht, daß wenn ein Geächteter dahin kam und sie um die Überfahrt über die Donau flehte, sie ihn über den Fluß führen durften um einen Pfennig. Ein Gleiches mußten sie aber auch jenen thun, die den Geächteten verfolgten.“