Praktische Philosophie

Praktische Philosophie

zum Gebrauch akademischer Vorlesungen

Erster Teil, welcher die allgemeine praktische Philosophie und die Moral enthält.

§ 21 Pflichten bei Ergötzlichkelten

Durch Ergötzungen verstehe ich sinnliche Freude deren wir uns bedienen zur Erholung unserer körperlichen und geistigen Kräfte. Sie können nicht verboten sein, denn sie sind notwendig. Unsere Empfindungswerkzeuge sind so harmonisch gegen die sanften Eindrücke körperlicher Objekte gestimmt, es ist uns so viel Empfindsamkeit zu mannigfaltigen vergnügenden Künsten mitgeteilt, daß man daraus schließen muß, der gütige Schöpfer wolle, wir sollen die Geschenke der Na-tur und der Kunst zur unschuldigen Belustigung anwenden. Nur da Ausschweifung hierinfalls so gewöhnlich und so gefährlich ist, muß man bei jedem Genuss mit großer Vorsichtigkeit handeln. Aus dem Zweck der Ergötzungen, der kein anderer sein kann, als Ersetzung der erschöpften Kräfte, und aus der Pflicht, so viel Gutes für das Ganze zu tun, als uns möglich ist, fließen folgende Regeln:

  1. Alle unsere Lustbarkeiten müssen an sich etwas erlaubtes sein, müssen irgendeine Vollkommenheit befördern, und keiner höhern Pflicht im Wege stehen.
  2. Sie müssen zweckmäßig sein, und also die Kräfte des Körpers, oder des Geistes, oder beides zugleich stärken.
  3. Weil übertriebene Wonne Schmerz wird, und auch wegen der Pflicht zur Arbeitsamkeit müssen sie sowohl in- als extensive eingeschränkt werden. Kurze und natürlich edle sind den langwierigen und gekünstelten vorzuziehen.
  4. Man verwende auf Lustbarkeiten nur kleine entbehrliche Kosten.
  5. Man lasse keine einzige Art des Vergnügens zur Gewohnheit und unentbehrlich werden; sondern man bemühe sich mitten im Genuss Herr darüber zu bleiben.
  6. Man nehme allemal auf seine Jahre, seinen Stand, den Ort, an welchem man lebt, die Gesellschaft, in der man sich befindet, auf die äußere Umstände ec. Rücksicht, und befleiße sich bei seinen Freuden, in Absicht andrer unanstößig zu sein.

Wer sich zum Nachtheil seiner Pflichten zu sehr, oder auf eine sonst unerlaubte Art zu vergnügen gewohnt ist, und Beschwerlichkeiten zu sehr scheuet, der ist ein Wollüstiger. Er genießt unendlich weniger Vergnügen, als der vernünftig arbeitsame: denn er hat ein anhaltendes unruhiges Verlangen nach solchen Dingen, zu deren erfreulichem Genüsse seine Sinne schon stumpf geworden sind. Dabei tötet die Wollust Tugend, Ehre und Gesundheit.

Ferner folgt aus den angeführten Gründen folgende Rangordnung der Vergnügungen:

  1. Die Leib und Seele zugleich neu belebenden: als Spaziergänge, Land- und Gartenlust, freundschaftliche Zusammenkünfte, mäßige Gastmahle
  2. Die zunächst das Gemüt allein angenehm zerstreuenden, als schöne Wissenschaften, Reisebeschreibungen, historische, topographische, biographische ec. Schriften. Übung in den schönen mechanischen Künsten, eine nach den Regeln der Moral und des Geschmacks gebesserte Schaubühne
  3. Bloße Bewegungen des Körpers: als die Übungen der alten im Wettlaufen, Ringen, Tellerwerfen, Schwimmen ec. das moderne Reiten, Fechten, Jagen, Tanzen, das Ball-, Ballon-, Kegelspiel, Billard, Zighet, Eisschießen, ec.
  4. Weder Geist noch Körper erquickende Spiele: als das Würfelspiel, ein Theil der Kartenspiele.

Um von solchen Spielen gründlich zu urteilen, muß man a) die Spiele, b) die Spieler, c) ihre Absichten, d) ihr Verhalten, und e) Zeit und Ort, unterscheiden. Um Geld spielen hat sehr oft böse Folgen mancherlei Art, die mit dem möglichen Guten kein Gleichgewicht halten.

Hasardspiele können gar nicht verteidigt werden.

  1. Praktische Philosophie von Augustin Schelle, Benediktiner von Tegernsee, der praktischen Philosophie und Universalhistorie Professor auf der erzbischöflichen Universität zu Salzburg – Seite 292 – gedruckt und im Verlage der hof- und akad. Waisenhausbuchhandlung, Salzburg, 1785