Das Scheibenspiel (le palet)
Dieses Spiel empfehle ich der Jugend für die schläfrige Zeit nach Tisch, besonders an heißen Sommertagen; denn es hat alles, was zu einem solchen Spiel gehört, indem es weniger Anstrengung als Geschicklichkeit erfordert und unter kleinen Promenaden zu Scherz und Lachen Anlaß gibt.
Man kann es im Freien und im Zimmer, selbst auf dem Tische, spielen.
Vier bis sechs Personen spielen es am bequemsten. Jeder hat ein, zwei, drei und mehr metallene Scheiben, mit welchen nach dem Ziel, das in einer kleinen Scheibe besteht, geworfen wird. Für jede Scheibe, welche die eine Partei dem Ziel näher wirft als die andere, zählt sie einen Punkt, und diejenige Partei, welche zuerst zwölf Punkte zählt, hat das Spiel gewonnen. Dieses ist der Gang des Spieles. Jetzt noch einige Erläuterungen.– ↑ –
Die Zahl der Scheiben für jede Person ist willkürlich. Sie sind von Blei, so groß als ein Talerstück. Um sie beim Spielen zu kennen, werden sie nummeriert oder mit haltenden Farben überzogen. Es ist bequem, wenn jeder Spieler seine eigene Farbe hat, aber gar nicht notwendig. Notwendiger ist es aber, daß jede Partei der Spieler eine eigene Farbe habe, und da sich die ganze Zahl der Spieler nicht bloß in zwei, sondern auch in drei und vier Parteien teilen kann, so ist es gut, vier Farben zu haben, um die abgeworfenen Scheiben der Parteien leicht auseinanderfinden zu können. Hat man aber dergleichen Scheiben gar nicht, so lassen sich auch Talerstücke gebrauchen, wenn man sie mit Zahlen bezeichnet.– ↑ –
Um die Sache mehr zu versinnlichen, will ich ein Spiel angehen lassen, das von zwei Parteien A und B gespielt wird, Ob jede Partei aus zwei, drei oder vier Personen bestehe, kommt hier weiter nicht in Betracht. Man legt das kleine Stück Geld auf den Boden, etwa vier, sechs bis zehn Schritt weit von dem angenommenen Standpunkt. Im Fortgang des Spieles geschieht dieses aber nicht wieder, sondern derjenige wirft es aus, der dem Ziel eine Scheibe am nächsten brachte. Man kann darum losen, welche Partei den Anfangswurf tun soll, oder die Entscheidung der Höflichkeit überlassen.– ↑ –
Angenommen, eine Person von A mache den Anfang, so folgt nun eine von B. Wirft diese näher als die Scheibe von A liegt, so kommt die Partei A wieder an den Wurf, und die Personen dieser Partei – es ist ganz gleichgültig, wer es sei – werfen so lange, bis eine von ihren Scheiben näher liegt als die Scheibe von B; dann fangen die Personen von B wieder an. Die Regel heißt kurz: jede Partei bleibt so lange am Wurf, bis eine ihrer Scheiben dem Ziel näher liegt, als irgendeine der anderen.– ↑ –
Die Ordnung des Werfens richtet sich also immer nach der Entfernung der Scheiben, darauf muß streng gehalten werden, mithin ist es nötig, die Entfernungen immer mit den Augen zu messen. Diese Einrichtung ist vortrefflich, das Augenmaß der Jugend zu schärfen, sie muß daher durchaus nicht vernachlässigt werden. Im streitigen Falle wird mit einem Stab gemessen. Sind die Scheiben von allen Spielern abgeworfen, so kommt es zur Berechnung, und diejenige Partei, welche ein, zwei, drei usw. Scheiben dem Ziele näher gebracht hat, als irgendeine der anderen liegt, zählt ein, zwei, drei usw. Punkte weiter.– ↑ –
Übrigens zeigt man, wie beim Billard, den Stand der Points der Parteien an; oder sind mehr als zwei Parteien, so notiert man die Punkte einer jeden mit der Bleifeder. – Derjenige, dessen Scheibe dem Ziel beim vollendeten Gang am nächsten lag, nimmt das Ziel, wirft es von neuem aus und tut beim folgenden Gang den ersten Wurf. So wird die Stelle des Ziels nach jedem Gang, das ist nach jedesmaligem völligem Abwerfen aller Scheiben der Parteien, verändert.– ↑ –
Man kann es in diesem Spiel zu einer ansehnlichen Fertigkeit bringen, z. B. die Person 1 wirft mit dem Ziel ziemlich nahe, 2 legt sich zwischen sie und das Ziel, 3 trifft das Ziel so, daß es sich von 1 und 2 entfernt und ihr am nächsten liegt. Oder 1 legt sich ans Ziel, 2 bedeckt das Ziel, 3 wirft 2 vom Ziel herab oder vom Tisch herunter, so daß in diesem letzten Falle nichts gezählt werden kann.– ↑ –
Man kann auch ohne Parteien einzeln für sich spielen. Dies geschieht gewöhnlich, wenn die Zahl der Personen ungleich ist.
Über das Mechanische des Wurfes läßt sich nur folgendes sagen: die Scheiben werden auf die Finger gelegt und in einem gestreckten Bogen so fortgeworfen, daß sie nicht ins Rollen kommen.– ↑ –
Dieses Spiel hat viel Zweckmäßiges; es erfordert unaufhörlich ein genau messendes Auge, richtig abgewogene Kraft der Hand beim Wurf, gute Behandlung der Scheiben und zugleich auch Glück; denn oft vernichtet ein kleiner Zufall den geschicktesten Wurf und erregt Gelächter.
- Johann Friedrich Christoph GutsMuths, geb. 09.08.1759 in Quedlinburg, gest. 21.05.1839 in Ibenhain, Deutscher Pädagoge und Mitbegründer des Turnens. ↩