Ein altbaierisches Wintervergnügen
von Benno Rauchenegger – Mit Abbildung, Seite 45. von G. Sundblad
Hart führt der Winter sein Regiment im Hochlande, und doch ist es gerade der Hochländer, der sein Wintervergnügen hauptsächlich im Freien sucht. Wenn auf der Ebene der Bauer den stattlichen Braunen vor den kleinen Reitschlitten spannt, um im Wettfluge das weite Schneefeld zu umkreisen, dann zieht der kräftige baierische Hochlandsbursche den Hornschlitten aus dem Schuppen und trägt ihn hinauf auf eine der nächstgelegenen Höhen. Dort sammelt sich eine Schaar munterer Dirndln, und auf je einem Schlitten nimmt eine kleine Gesellschaft Platz; der gewandteste Bursche sitzt vorn, da ihm das wichtige Amt des Steuerns übertragen worden, und nun geht es thalabwärts in sausender Eile, der Schlitten gleitet mit rasender Geschwindigkeit über die abschüssige Fläche; man meint, das gebrechliche Fahrzeug müsse an der nächsten Bahnkrümmung zerschellen, aber fest stemmt der Führer die eisenbeschlagenen Absätze gegen den Boden, eine tiefe Furche in den Schnee reißend; ein Ruck genügt, um dem Schlitten die Richtung zu geben; man weiß, daß der muskulöse Älpler seine Aufgabe zu erfüllen vermag; furchtlos freut sich die Gesellschaft ihrer Fahrt, und schmetterndes Jauchzen füllt die Luft und ruft die schlafenden Echos der benachbarten Felsen wach. Freilich kostet die luftige Tour von einigen Minuten sodann lange Zeit neuer Anstrengung, bis das Gefährte wieder hinaufgebracht ist, um die Fahrt auf’s Neue zu beginnen. Die fröhlichen Theilnehmer finden an diesem halsbrecherischen ländlichen Vergnügen einen ebenso großen Genuß, wie die städtische Balljugend am Cotillon. – ↑ –
In den Seegegenden des baierischen Gebirges konzentriert sich das Wintervergnügen hauptsächlich auf die Eisfläche. Teilweise ist der Schlittschuh im Gebrauche, teilweise benutzt Alt und Jung kleine Schlitten, welche man, darauf stehend, mittelst eines eisenbeschlagenen Stockes vorwärts treibt. Kraft und Gewandtheit führen hier zu einer großen Fertigkeit, und es gestalten sich die von Zeit zu Zeit abgehaltenen Wettfahrten zu höchst originellen Volksbelustigungen. Allgemein verbreitet und von den Bergen bis weit ins Flachland hinein kultiviert ist das sogenannte Eisschießen. Es ist dies ein Gesellschaftsspiel im Freien das gleichfalls Kraft und Gewandtheit, ein sicheres Auge und Uebung verlangt und deshalb von den Landbewohnern mit Leidenschaft betrieben wird.– ↑ –
Als hierzu dienliches Werkzeug wird der Eisstock verwendet, er hat die Form einer Scheibe mit pyramidenförmigem Aufsatze, der in einem gebogenen Handgriffe endigt, ist von hartem Holze angefertigt und mit einem massiven schmiedeisernen Reife bezogen, sodaß er jedem Anpralle zu widerstehen vermag. Dieser Eisstock, mit einem genau zu berechnenden Schwung und unter einer kleinen Drehung auf die Eisfläche geworfen, gleitet mit einer bedeutenden Geschwindigkeit unter kreiselförmiger Bewegung fort, bis der dynamische Effekt nachläßt oder ein Anprall auf irgend einen Gegenstand denselben aufhebt.– ↑ –
Es handelt sich beim Spiele selbst vor Allen darum, ein gewisses Ziel zu erreichen, dieses letztere wird durch ein kleines quadratisches Holzstück, welches leicht verschiebbar ist, dargestellt, der beste Schuß ist natürlich derjenige, der zunächst am Ziele sitzt. Spielen Zwei mit einander, so trachtet der Gegner, entweder auf geradem Wege näher zum Centrum zu gelangen oder durch Gewalt den Feind zu verdrängen, indem er durch einen wohlberechneten Anstoß den vor dem Ziele liegenden Eisstock zu beseitigen sucht. Je mehr Theilnehmer, desto abwechselungsreicher und lebendiger gestaltet sich das Spiel.– ↑ –
Die Zahl der Interessenten theilt sich in zwei Parteien, was dadurch geschieht, daß Jeder einen Probeschuß auf das Ziel abgiebt; die dem Holzstückchen – der sogenannten „Daub’n“ – zunächst situirte Hälfte bildet die Sippe der „Engen“, die Uebrigen diejenige der „Weiten“; der einzeln dem Zielobjecte am nächsten Gekommene ist der „Engmoar“, der Gegenfüßler desselben der „Weitmoar“ und haben diese „Moars“ – bei Leibe nicht Meier! – das Recht, einen zweiten Schuß abgeben zu dürfen, wenn es die Sachlage erheischt, dafür sind sie aber gehalten, im Verlustfalle doppelte Zahlung zu leisten, welche der gewinnende „Moar“ empfängt.– ↑ –
Das Spiel beginnt damit, daß ein Mann der „Weiten“ seinen Eisstock so dicht wie möglich ans Ziel zu bringen trachtet; der nächstfolgende Mann der Gegenpartei sucht ihn zu überbieten oder wegzuschneiden, je nachdem dies gelingt oder mißlingt, tritt entweder ein Freund ein, der es besser machen soll, oder es folgt ein Feind, um den Erfolg aufzuheben. Diejenige Partei, welche zuletzt den Platz bei der Daube, wenn auch nur mit einem Eisstocke, behauptet, ist Siegerin, und dieser Kampf ums Ziel wiederholt sich dreimal; gelingt es der Gegenpartei nicht, wenigstens einmal sich zu behaupten, dann ist sie „geschneidert“, eine Schmach, die mit doppelter Zahlung des Partiegeldes verbunden ist.– ↑ –
Bei dem Spiele geht’s lebendig genug her, denn jeder Partner beteiligt sich fortwährend durch Gutachten, Ratschläge und Meinungsaustausch in der animirtesten Weise; jener gutmütige Spott, der, nie über den Rahmen des Spiels hinaustretend, die Unterhaltung pikant macht, darf nicht fehlen, und deshalb wird auch eine Eisbahn selten leer, ehe der Abend sein Veto einlegt. Gesellschaftliche Schranken existiren, besonders in kleinen Orten auf dem Lande, bei einer solchen Gelegenheit nicht. Pfarrer und Meßner, Bürgermeister und Gemeindediener, Bauer und Häusler haben das gleiche Recht zur Theilnahme. Unser Künstler hat dies auf dem Bilde in gelungenster Weise zur Anschauung gebracht. – ↑ –
Die ganze mobile Gemeinde eines altbaierischen Dorfes der Voralpen hat sich auf dem Eisplatze hinter dem Wirthshause – neben der wegen des Winters in Quiescenz befindlichen geschlossenen Kegelbahn versammelt. Das Spiel hat bereits begonnen; draußen am Ziele, um die „Daub’n“ geschaart, stehen die Spieler, welche ihren Schuß abgegeben haben, bei ihren Eisstöcken, in größter Spannung den Fortgang des Spieles verfolgend. Da sehen wir den ehrsamen Schuster, wie er, die Hände unter dem leinenen Arbeitsschurz, mit Kennermiene die Bahn des herangleitenden Eisstockes verfolgt, während seine Nachbarn, der Schmied, der Zechenhauer und der Wolf, resignirt dem Effecte des offenbar gelungenen Wurfes entgegensehen. Der in Action befindliche Großbauer – sein Anzug kennzeichnet ihn als solchen – hat seine ganze Kunstfertigkeit aufgeboten, und sein Körper folgt mechanisch der eigenen Gewalt auch dann noch, wenn der Stock geworfen ist, er möchte ihn sichtlich jetzt noch weiter herumdrehen. Der hinter ihm stehende Gemeindediener in voller Amtstracht, die ein ordentlicher Gemeindediener kaum bei Nacht ablegt, sieht mit pfiffigem Gesichte auf den rückwärts stehenden Herrn Pfarrer, als wollte er sagen. „Na, jetzt komme ich, und da sollt ihr einmal sehen.“ Der würdige Ortspfarrer, der mit seinem getreuen Adlatus, dem schlanken Schullehrer, vorläufig dem Spiele noch zusieht, ist eben im Begriffe, eine bedächtige Prise zu nehmen, welchen feierlichen Moment der Pädagoge in bescheidenem Stillschweigen abwartet, wohl um der höheren Meinung nicht ungebührlich vorzugreifen.– ↑ –
Beim nächsten Spiele werden sie sich sicher auch betheiligen, ebenso wie der zur Seite stehende baumlange Förster, der eben von einem eifrigen Eisschützen über die hohe Vortrefflichkeit des vorgezeigten Eisstockes belehrt wird, welche Belehrung der Waidmann mit der ruhigen Gutmütigkeit, die das Gefühl der moralischen Ueberlegenheit in jedem Falle verstattet, über sich ergehen läßt. Die muntere Jugend ist mit der eigenen Angelegenheit, der Fertigung eines kolossalen Schneemannes, vollauf beschäftigt, und das ganze bunte Bild ist von einem echt winterlichen Rahmen umgeben, der hohe Schnee deutet die volle Kraft des Winters, die aufzeigenden Rauchsäulen auf den Dächern die Strenge desselben an, und das gehört zu dem eben geschilderten Vergnügen. Eigentümlich, ja für den Uneingeweihten höchst fremdartig klingt die auf das Spiel bezügliche Unterhaltung. Abgesehen von dem breitesten altbaierischen Dialekte, der auf der Eisbahn dominirt, hört man eine Menge technischer Ausdrücke, die den Sinn der Worte absolut unverständlich lassen.– ↑ –
Wir wissen, was eine „Daube“ ist: nun hören wir von einer „Maß“. Damit ist keineswegs das bajuwarische Wahrzeichen, der berühmte Flüssigkeitsbehälter gemeint, sondern eine „Maß“ bedeutet den Anschub. Es giebt aber eine „staate“ Maß und eine „laute“ Maß – ein behutsames oder energisches Anschieben bedeutend. Erreicht der Stock das Bahnende nicht, so ist er „verhungert“. Hat der Feind sich gut vor die Daube gelegt, so muß man ihn „obithoa“, das heißt zu verdrängen suchen, oder es heißt „der muß ’naus“. Manchmal genügt ein kleiner Ruck, um den naheliegenden Eisstock des Freundes zum Ziele zu befördern, „a kloans Druckerl, aufbessern“. Will man dem Feinde von der Seite beikommen, dann sucht man durch „Anwandeln“ dieses zu erreichen. Vom Ziele her empfangen die Spielenden ihre Directiven aus dem Freundesmund, wer geschossen hat, begiebt sich sofort dahin, um sich an der Controlle zu betheiligen. Sehr wichtig ist die Arbeit des Ausmessens der Entfernung zweier feindlicher Eisstöcke vom Ziele – kurz, jede Handlung nimmt das allgemeine Interesse in Anspruch und hält die Gesellschaft mobil.– ↑ –
Das Beste an der Sache aber ist, daß das Spiel eine gesunde Bewegung im Freien bedingt, die Jedem zu Gute kommt, weshalb viele Städter dasselbe aus Sanitätsrücksichten betreiben. So konnte sich das Eisschießen in Laufe der Zeit denn auch einen Weg in die Städte bahnen, wo es, besonders im südlichen Baiern, mit großer Vorliebe kultiviert wird, in München, Landshut, Regensburg etc. zählen die „Büromenschen“ zu den eifrigsten Verehrern dieser ursprünglich rein ländlichen Belustigung, die sicher immer weitere Verbreitung finden wird.
dazu abgebildet auf Seite 45: Eisschießen in Altbaiern, Zeichnung von Gustav Sundblad